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Am Montagabend nahm Juliette Gréco im Friedrichstadtpalast Abschied von ihrem Berliner Publikum.

© picture alliance/dpa

Juliette Gréco in Berlin: Ihr Abschiedskonzert wird zur Hommage an Paris

Paris ist in aller Munde. Doch Juliette Gréco besingt unbeirrt die Stadt der Verliebten, der Philosophen, der Melancholie. Gestern nahm die 88-jährige Chansonnière im Friedrichstadtpalast Abschied von Berlin.

Kein Wort zu Paris. Nein, das ist nun auch wieder falsch, au contraire, Paris ist allgegenwärtig. Juliette Gréco besingt die Stadt von allen Seiten, trifft erst die Verliebten, die Philosophen „Sous le ciel de Paris“, flaniert dann noch einmal mit Jean-Paul Sartre durch Saint-Germain-des-Prés. Mal nachdenklich, mal verbittert, mal schelmisch, mal verzweifelt. Doch es ist ein anderes Paris, durch das die Chansonnière da streift.

Noch einmal ist Juliette Gréco nach Berlin gekommen, sie will Abschied nehmen, hat ihrer Tour den einfachen Titel „Merci“ gegeben. Mon dieu, die Frau ist 88! Man sieht es ihr an, als sie am Montagabend, viertel nach acht, zitternden Schrittes auf die Bühne des Friedrichstadtpalastes geführt wird, noch dürrer, klappriger als früher, in ein schwarzes Samtgewand gehüllt.

Der Saal steht, bevor sie überhaupt die drei Stufen gemeistert hat, hinauf auf diese riesige Bühne, auf der ihr Ehemann Gérard Jouannest am Flügel und Jean-Louis Matinier am Akkordeon schon auf sie warten. Es ist, als würde sie verschluckt von diesem schwarzen, minimalistischen Nichts, nur ein Spot auf sie, grau wirkt sie, fast wie ein Geist, als sie langsam, majestätisch ins Publikum winkt. Kaum zu glauben, dass hier an anderen Tagen die Lichteffekte so bunt blitzen, die Bässe so laut wummern, dass einem Augen und Ohren wehtun.

Einsamkeit und Weltschmerz

Jetzt gibt es nur sie. Von innerer Einsamkeit hat Juliette Gréco häufig gesprochen, sie, die seit mehr als 60 Jahren auf der Bühne steht, die als Muse der Existenzialisten begonnen hat und als Grande Dame de la Chanson vergöttert wird, auch wenn sie nicht die einzige ist, die man so genannt hat. Den philosophischen Weltschmerz hat sie offenbar niemals abgelegt, vielleicht nicht ablegen können, weil es ihn wohl braucht, um französische Chansons glaubhaft darbieten zu können.

Zerbrechliche Gestalt, virtuose Stimme

Hier auf dieser Bühne wirkt sie so winzig, so verloren, dass man ihr zu Hilfe eilen möchte. Bis sie zum ersten Ton ansetzt. Tiefer als früher, fast männlich, klingt ihre Stimme. Sie singt nicht, sie interpretiert, nein, sie zelebriert, inszeniert jede Zeile, haucht, faucht, zetert, jammert die Worte heraus.

Es waren schon immer die Worte, die sie interessierten, seit Sartre sie entdeckte, in einem Kellerclub mit dem Namen Tabou, irgendwo in Saint-Germain-des-Prés. Seine Texte waren es, die sie zuerst sang. Im Jahr 1949, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, ist das denn möglich? Und nun steht sie hier, 66 Jahre später, und singt Jacques Brels „Les vieux ne parlent plus“: Die Alten sprechen nicht mehr, sie bewegen sich nicht mehr, ihre Gesten haben zu viele Falten.

Und was für Falten ihre Gesten haben! Sie lässt es zu, dass das Akkordeon ihr wegläuft, verfällt immer wieder in diesen melancholischen Sprechgesang. Wie angeklebt steht sie an ihrem Mikrofonständer, auf die Beine kann sie sich nicht mehr verlassen. Doch die Arme reißt sie immer wieder hoch, wie eine Fledermaus sieht sie aus mit den Flatterarmen ihres schwarzen Morgenmantels, keine andere Farbe hat sie je an sich herangelassen. Jawohl, das Alter hat ihr zugesetzt, und sie weiß es einzusetzen. „Nein, ich sollte dieses Lied nicht singen“, sagt sie mehrfach ins Mikrofon, nichts als Koketterie, da erklingen schon die ersten Noten von „Deshabillez-moi“ – Ziehen Sie mich aus. „Ziehen Sie sich aus“, ruft sie mit der letzten Zeile ins Publikum, doch das ist kaum noch zu hören vor lauter Begeisterung.

Abschied ohne Zugabe

Mit 20 war sie mit Miles Davis zusammen, der zu Sartre gesagt haben soll, er liebe sie zu sehr, um sie zu heiraten. Hunderte dieser Geschichten gibt es über La Gréco, Namen wie Picasso, Giacometti, Camus und Gainsbourg tauchen darin auf. Fragt man sie, sagt sie: Was kümmert mich, was die Leute denken?

Und so verlässt sie diese große Bühne bereits nach gut 60 Minuten wieder. Was kümmert es sie. Einmal quält sie sich noch die drei Treppenstufen hinauf, doch nur für ein kurzes Winken, ein zweites Mal kommt sie hinter dem Vorhang hervor. Zehn Minuten steht der Saal, der nur zu knapp zwei Dritteln gefüllt ist. 2004, da war sie auch schon 77, hatte sie noch zwei Stunden gespielt. Doch diesmal gönnt sie dem Publikum keine einzige Zugabe.

Einige werden es ihr übel nehmen, vielleicht auch, dass sie „Les feuilles mortes“ nicht gesungen hat oder was auch immer der ein oder andere noch hören wollte.

Kein Wort zum Paris von heute

Einige werden es ihr übel nehmen, dass sie nichts gesagt hat zum Paris von heute, Paris im Ausnahmezustand. Kein Wort der Trauer, der Anteilnahme. Ausgerechnet sie, die doch immer so politisch war?

„J’arrive“, ruft sie immer wieder, nur ein Spot auf sie gerichtet, „J’arrive“ – Ich bin gleich da. Hält sich plötzlich theatralisch die Hände vors Gesicht. Oder weint sie jetzt tatsächlich?

Vielleicht hätte man es nicht ausgehalten, all die Traurigkeit verbunden mit der Einsamkeit, die ohnehin in diesen Liedern liegt. Mit „Ne me quitte pas“, verlässt sie nach einer guten Stunde die Bühne, es ist wohl ein Abschied für immer.

Als das Licht angeht, haben einige verweinte Gesichter. „Avec le temps…", hallt es noch nach,  "Avec le temps, va, tout s’en va." Mit der Zeit, mit der Zeit, weißt du, geht alles vorbei.

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