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Der Mann an ihrer Seite. Helmut Newton mit Models in Monte Carlo, 1997.

©  Alice Springs alias June Newton

June Newton im Museum für Fotografie: Jenseits von Helmut

June Newton war Muse, Verlegerin und auch selbst erfolgreiche Fotografin: Eine Retrospektive zeigt Bilder von ihr in der Helmut Newton Stiftung.

Danielle Mitterrand blickt nicht in die Kamera, sondern auf die Frau dahinter. Ob die Fotografin June Newton ihren Blick erwidert, kann man nicht wissen. 1984, als Newton dieses Porträt aufnimmt, verbindet die beiden starken Frauen viel. Beide sind erfolgreich – und stehen doch im Schatten ihrer Ehegatten. Die ehemalige Widerstandskämpferin und Menschenrechtsaktivistin Danielle Mitterrand in dem des französischen Staatspräsidenten François Mitterrand, dessen Ölporträt bildfüllend in die Aufnahme hineinragt. June Newton in dem von Helmut Newton, dem Starfotografen und Modeldompteur. Er hat seiner Frau von Anfang an klargemacht: Es kann nur einen Newton geben. Deshalb muss sie für ihre Arbeit ein Pseudonym nutzen.

Unter dem Namen Alice Springs fotografiert sie in den 80er Jahren für Hochglanzmagazine wie „Elle“ und „Vanity Fair“ und wird bekannt mit Porträts von Yves Saint Laurent, Gerhard Richter und vielen anderen. Und doch bleibt sie irgendwie Mrs. Newton. Selbst ihre Tagebuchauszüge, die 2004 nach Helmut Newtons Tod erscheinen, tragen diesen Namen. Dass June aber mehr war als bloß Muse und Verlegerin ihres Mannes, bewies die Helmut Newton Stiftung, der sie als Präsidentin vorsitzt, bereits mehrfach – doch lange nicht mehr so erfrischend wie jetzt. Über 100 Werke zeigt die Stiftung im großen Saal der Stiftung. Es ist ihre zweite Retrospektive, diesmal vom Maison Européenne de la Photographie in Paris organisiert und dort bereits im letzten Jahr gezeigt.

Die ausgewählten Fotografien wirken wie spielerische Gegenüberstellungen: Porträts eleganter Damen wie Nancy Kissinger oder Audrey Hepburn vis-à-vis solcher von Herren wie Graham Greene oder Sebastião Salgado. Kristina und Roger Moore lassen sich eng umschlungen fotografieren, während in anderen Bildern Paare und Familien entfremdet erscheinen. Die Welt der Schönen und Reichen wird kontrastiert mit dem Leben im Los Angeles der 80er Jahre.

Ausgeflippte Leute, warme Porträts

Es begegnen einem Punks, Cops, Hip-Hopper, Breakdancer, schrille hochtoupierte Hairstyles, Mädchen mit gedrehten Stofffetzen als Ohrringen, Jungs mit gesprenkelten Leopardenmustern auf der neongelben Kurzhaarfrisur. Diese Fotografien fangen einen Zeitgeist ein, der geradezu zu schreien schien: Alles ist möglich! Wenn schon nicht im repressiven Reagan-Amerika, dann doch zumindest auf der Straße, in der Mode.

Der Retrospektive tut auch gut, dass June Newtons Arbeiten durch eine Gastausstellung in einen Kontext gerückt werden. Die Arbeiten des Amsterdamer Fotografen Mart Engelen, die in Junes Room zu sehen sind, stehen ihren warmen und intimen Porträts näher als Helmut Newtons Inszenierungen. Engelen wirkt hinter der Kamera unaufdringlich. In seinen an die Ästhetik des Film noir angelehnten Schwarz-Weiß-Porträts von Georg Baselitz oder Morgan Freeman scheint es oft so, als würden die Menschen auf den Betrachter zurückschauen.

Natürlich darf Helmut Newton selbst nicht fehlen, und so räumt auch ihm die Stiftung gebührenden Raum mit der Ausstellung „Yellow Press“ ein. Die war zwar schon 2002 in Zürich zu sehen, bietet aber einen tiefen Einblick in seine Faszination für das Abgründige. Sie zeigt Gerichtsreportagen, nachgestellte Kriminalgeschichten und Bilder der Self-Appropriation, die Helmut Newton vor seinem Lebensende anfertigte.

Vom Polaroid zum Werbeclip

Auch den Transfer eines Sujets von der Polaroid-Serie zum bewegten 45-Sekunden-Werbeclip kann man beobachten: Eine Domina betritt ihr dunkles Domizil und entkleidet sich. Sie reißt ihre Ledermaske ab, schlüpft aus ihrem engen Korsett und zieht die langen, schwarzen Wimpern ab, um sich halbnackt auf ihre Matratze zu werfen und einen Anruf ihrer Mutter entgegenzunehmen. Man hört das Klackern ihrer Stiefeln über rostigen Kellertreppen, das Zippen ihrer Reißverschlüsse und die lakonische Begrüßung noch lange, nachdem man wieder in das Treppenhaus vor Helmut Newtons „Big Nudes“ tritt.

Helmut Newton Stiftung, Jebensstraße 2, bis 20.11.; Di–So 11–19 Uhr, Do 11–20 Uhr.

Giacomo Maihofer

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