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Ed Atkins schickt in seinem Video „Warm, Warm, Warm Spring Mouths“ einen Avatar auf die Reise.

© Museum

Junge Kunst der Post-Internet-Generation: Zuckende Zeichen

Die jungen Künstler der Post-Internet-Generation sprechen eine neue Kunstsprache und operieren mit neuen Technologien. Zwei Ausstellungen in Berlin und Oslo versuchen sie zu lesen.

Aus fernen Zeiten scheint er zu kommen, ein Avatar, dem das lange Haar ums Gesicht weht. Irgendwann gerät eine Hand ins Bild, die mit Wasser spielt, eine andere taucht auf, die wie versteinert wirkt, ein archäologisches Fundstück offenbar. Ed Atkins produziert komplett künstliche Welten in seinem Video „Warm, Warm, Warm Spring Mouths“. Es spielt im Irgendwo digitaler Welten. Nur so viel ist gewiss: Wir sind angekommen in einer neuen Epoche. Der Künstler schafft sein trauriges Alter Ego als computeranimiertes Wesen, das schwermütig über den Zustand der Welt räsoniert. „Und das Ganze ist eigentlich ein Zugeständnis. Ein Kompromiss, ein Ersatz dafür, etwas beschissen Echtes zu erleben,“ sagt Atkins’ Avatar an einer Stelle.

Der 1981 geborene Brite ist der heimliche Held der großen „Europa, Europa“-Schau im Osloer Astrup-Fearnley-Museum. In seinem Beitrag verdichten sich die Sehnsüchte, die Ängste einer jungen Künstlergeneration, die mit neuen Technologien operiert – wie in den vergangenen Jahrhunderten die Maler mit dem Pinsel. Ihre Bildsprache entspringt dem Internet. Der Computer hat auf ihre Arbeit den gleichen Einfluss wie wissenschaftliche und industrielle Erfindungen einst auf das Werk von Impressionisten und Kubisten, ist Museumsdirektor Gunnar Kvaran überzeugt. Bei Atkins wirkt diese Bildsprache elegisch, sie ist von einer großen Traurigkeit und einem Wunsch nach Schönheit getragen. Das Publikum pilgert in seinen Saal, wo auf einem riesigen Screen sein zwanzigminütiges Video läuft. Andächtig lassen sich die jungen Besucher auf dem Teppich nieder und nehmen die kosmischen Lyrismen auf, die wie ein Sedativum wirken.

"Europa, Europa": Bestandsaufnahme der Kunst-Landschaft eines Kontinents

„Europa, Europa“ versucht nichts Geringeres als eine Bestandsaufnahme der künstlerischen Landschaft eines Kontinents. Acht Städte und deren Szenen werden präsentiert, Brüssel, Lissabon, London, Paris, Prag, Zürich, natürlich Oslo und auch Berlin, wo das Video „Warm, Warm, Warm Spring Mouths“ schon im vergangenen Jahr zu sehen war. Hier wird derzeit in den Kunst-Werken das Gegenstück zu Ed Atkins präsentiert: Ryan Trecartin, der zweifellos ebenfalls im Astrup-Fearnley-Museum gezeigt worden wäre, wäre er nicht Amerikaner und in Los Angeles zu Hause.

Trecartin steht mit seinen überdrehten Videos – der Inszenierung von Trash, verrückt gewordenen Soap-Operas, in denen er mit seinen Freunden wild mit Perücken und Echsen-Kontaktlinsen kostümiert auftritt – für den anderen Typus der Post-Internet-Generation. Dem Irrwitz der digitalen Möglichkeiten setzt er noch eins drauf, indem er Software-generierte Raubtiere durch das Setting springen lässt, Vögel flattern auf, Bäume sprießen. Die Kamera selbst wird zum Akteur. Das Tohuwabohu steigert sich zur Zumutung durch den wummernden Sound, der den Ausstellungsbesucher körperlich erfasst und in das Geschehen katapultiert. Für ihn sind Sessel, Campingstühle, Liegen bereitgestellt, und irgendwann driftet er ähnlich wie bei Atkins in andere Sphären ab – nur dass keine meditative Stimmung aufkommen will, sondern sich durch die Hyperaktivität auf den Bildschirmen eine unbestimmte Nervosität ausbreitet.

Das Lebensgefühl der Online-Generation

Ist das also das Lebensgefühl einer Generation, die „online“ aufwuchs – jene in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren geborenen Künstler, deren Werke von der digitalen Alltagserfahrung geprägt sind? Trecartin ist hier der Star, der am radikalsten die neue visuelle Kultur in den Kunstbetrieb einführt. Endlich tut sich mit der Post-Internet-Art wieder ein Trend auf, eine andere Ästhetik, wobei „Post“ nicht danach, sondern „längst angekommen“ bedeutet. Bis heute giert der Kunstbetrieb nach Ismen, auch wenn jeder weiß, dass es sie nicht mehr gibt.

Auf der letzten Biennale in Venedig bekam der gefeierte Amerikaner einen eigenen Saal in der Hauptausstellung, der Silberne Löwe ging an Camille Henrot, in deren Video mal ausgestopfte Vögel, mal Werbeclips zu sehen waren – eine Collage aus dem Netz geholter Impressionen. In Oslo begegnet man der jungen Französin erneut, auch hier arbeitet sie mit Flatscreens, Plasma-Monitoren und Anregungen aus der Tierwelt. Allerdings spielt sie jetzt digitale Technik gegen die klassische Kunstausübung aus, den Holzdruck. „Pferd ohne Namen“ nennt sie ihre Holzschnitt-Serie, auf der man eine Art Huf zu erkennen glaubt, eine Anspielung auf Matisses Cut-outs, eine Verbeugung vor dem Vokabular der Moderne.

Diese Generation junger Namen, die künstlerisch in der analogen wie der digitalen Welt siedeln, bespielt die gesamte Klaviatur. Ohne Scheu bedient sie sich bei den Alten Meistern, kopiert nonchalant deren Bildsprache und verleibt sie ihrem eigenen Kosmos ein – nicht anders als das gefräßige Internet, in dem alles gleichberechtigt nebeneinander existiert. Ein ähnliches Phänomen war schon einmal in den achtziger Jahren in Kunst und Architektur zu beobachten, im Zeitalter der Postmoderne, als die Bauten collagenhaft zusammengesetzt wirkten und in der Malerei verschiedene Stile miteinander kollidierten, Abstraktion und Figuration sich gleichberechtigt auf der Leinwand begegnen konnten.

Die Kritik reagierte damals zunächst mit Spott, der Kunstmarkt allerdings machte die Hauptvertreter zu seinen Heroen. Heute hängen die Bilder eines Julian Schnabel, David Salle, Jean-Michel Basquiat als abgeschlossenes Kapitel im Museum.

Komplette Beliebigkeit oder adäquate Form?

Ob dort auch die Post-Internet-Generation mit ihren Werken einmal landen wird, steht naturgemäß in den Sternen. Noch streitet sich die Community, ob hier die große Leere, die komplette Beliebigkeit vorgeführt wird oder eine adäquate Form gefunden ist, um die eigene Realität in Kunst zu übertragen. Eines allerdings stellt die „Europa, Europa“-Ausstellung klar. Selbst wenn hier der Schauplatz ein Museum ist, das sich vom nördlichsten Zipfel des Kontinents aus in die Debatte mischen will: Die Diskurse werden woanders geführt.

Auch das gehört zur Bestandsaufnahme der Ausstellung, die in den nächsten Jahren durch Europa touren will und an jedem neuen Standort vier Städte gegen neue austauschen will, um eine beständige Aktualisierung zu sichern: Die wichtigsten Schauplätze für die neue Generation sind nicht die Museen, ja nicht einmal unbedingt die Galerien, sondern die off-spaces, die Produktionsgalerien. Hier wird in viel schnellerer Abfolge präsentiert, was gerade entsteht, manchmal nur einen Abend lang, Performances, Panels gehören zum Programm. Dass es im Zeitalter der Billigflieger, der diversen Austauschprogramme der Akademien keinen spezifisch nationalen Zuschnitt mehr gibt, versteht sich von selbst. Unter den Berliner Vertretern besitzt nur einer einen deutschen Pass. Post-Internet bedeutet vor allem: ohne Grenzen.

Kunst-Werke, Berlin, bis 11.1.; Astrup-Fearnley-Museum, Oslo, bis 1.2.

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