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Jurjews KLASSIKER: Vor Hitler kam Pinski

Immer dasselbe: Die Autoren der zwanziger Jahre, geschweige denn die Exilautoren, sind im Deutschland von heute kaum durchzusetzen, ob nun die kristalline Moderne eines H. G.

Immer dasselbe: Die Autoren der zwanziger Jahre, geschweige denn die Exilautoren, sind im Deutschland von heute kaum durchzusetzen, ob nun die kristalline Moderne eines H. G. Adler oder der (großartige!) jüdisch-advokateske Humor eines Sammy Gronemann. Sie bekommen in der Regel hervorragende Besprechungen, werden ab und an sogar verkauft, das war es dann aber: Zehn oder 15 Jahre später kann man sie wiederentdecken. Genau dieses Schicksal wiederfährt auch Artur Landsbergers Roman „Berlin ohne Juden“. 1998 versuchte der Bonner Weidle-Verlag, Leser dafür zu gewinnen, jetzt unternimmt er einen zweiten Versuch. (Hrsg. und mit einem Nachwort von Werner Fuld, 224 S., 19 €)

Der 1876 in Berlin geborene Artur Landsberger war vor dem Ersten Weltkrieg ein Erfolgsautor und blieb es in der Weimarer Zeit. Seine Spezialität: spektakuläre Kriminalfälle und Geschichten über Satanisten. Die Entstehung von „Berlin ohne Juden“ ist ungewöhnlich – der Roman ist eine Replik auf „Die Stadt ohne Juden“ (1922) des Österreichers Hugo Bettauer (1872–1925), einen Schlüsselroman mit kaum maskierten Personen der Wiener Politik.

Bettauer, wie Landsberger getaufter Jude und ebenfalls Erfolgsautor, wurde 1925 von einem Nazi erschossen: wegen eines von ihm herausgegebenen erotisch großzügigen Magazins, das „den deutschen Anstand“ beleidigte. Landsberger wollte zeigen, welche Konsequenzen eine Judenverbannung in Deutschland nach sich ziehen würde. Eine rechtsextreme Partei erringt die regierungsfähige Mehrheit im Reichstag. Kaum an der Macht, erlässt sie ein Gesetz über die Verbannung aller Juden aus dem Deutschen Reich, was die Bevölkerung mit Volksfesten quittiert. Natürlich hat der gute Michel sich so einen perfiden Plan nicht selbst ausdenken können. Zu diesem Zweck wird aus Moskau ein gewisser Pinski geschickt. Pinksi gibt sich als Jude aus, ist aber keiner, sondern Slawe, was man an Rassenmerkmalen schnell erkennt (auch die deutschen Juden waren vom Rassenwahn befallen). Pinski erfindet eine Kombination aus Extremnationalismus, Judenhass und antikapitalistischer Demagogie, die beim Wähler ankommt. Die Komintern hofft nun, sich das durch die Judenverbannung ruinierte Deutschland leicht unter den Nagel reißen zu können.

Leider besteht der Großteil des Romans aus langen Reden, in denen Landsberger, ein deutscher Patriot, wie er im Buche steht, versucht, den Deutschen ihre Abneigung gegen deutsche Juden auszureden. Auch in der mustergültigen christlich-jüdischen Bankierfamilie Oppenheim wird geredet, geredet und geredet. Nicht ohne die widerliche und immer wieder vorkommende Bemerkung, dass die guten deutschen Juden die schlechten Ost-, Talmud- und Wucherjuden noch mehr als die Deutschen verabscheuen würden.

Die Judenverbannung endet schnell mit dem Boykott Deutschlands durch die westlichen Demokratien. Dieser Boykott verursacht eine Wirtschaftskatastrophe und die Juden kehren zurück, um ihre Heimat zu retten. Die Bevölkerung begrüßt sie an den Bahnhöfen mit Blumen. Wie schön!

Interessant ist „Berlin ohne Juden“ wegen des detailreichen Einblicks in die innere Welt des Autors Artur Landsberger. Wer dieses Buch gelesen hat, versteht das Dilemma des deutschen Juden, der sich für deutscher als deutsch hielt. Wer übrigens „Tohuwabohu“ von Sammy Gronemann, der genau diese Art der deutschen Juden glänzend-witzig verlachte, gelesen hat, versteht wohl noch mehr. 1933, nach Hitlers Machtergreifung, brachte Landsberger sich um. Hielt er seinen Roman für ein schlechtes Omen? Glaubte er nicht an die Solidarität der europäischen Juden und des Westens?

Vielleicht fühlte er sich wirklich schuldig, dass er das ganze Programm geliefert hatte, das Hitler nun Schritt für Schritt verwirklichen sollte. Artur Landsberger hat sich für einen Pinski gehalten – und hat den Pinski in sich bestraft!

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