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Kultur: "Kabale und Liebe": Mehlau liegt über den Handys

Bis weit in den Zuschauerraum hinein reicht die Spielfläche: Eine waghalsige Schräge aus groben Brettern. Durch die Ritzen dieser ineinander verschachtelten Bühnen-Landschaft dringt das Licht aus einer anderen, unbekannten Welt.

Bis weit in den Zuschauerraum hinein reicht die Spielfläche: Eine waghalsige Schräge aus groben Brettern. Durch die Ritzen dieser ineinander verschachtelten Bühnen-Landschaft dringt das Licht aus einer anderen, unbekannten Welt. In diesem provisorischen Universum rieselt vor den Fenstern der Schnee, schwitzen drinnen die Menschen unter ihren hellen Sommerkleidern. Ex-"Pankow"-Musiker Jens Jensen lässt klirrende Gitarren-Riffs ertönen. Schauspieler fläzen sich in einige auf die Bühne verbannte Theatersessel. Eine Videokamera wirft Bilder auf die Rückwand der Bühne. Haben wir uns in eine Theaterprobe verirrt als unfreiwillige Beobachter eines Schauspielseminars zum Thema "Das bürgerliche Trauerspiel"? Schillers "Kabale und Liebe" als work in progress. Regisseur Manuel Schöbel und sein Ausstatter Frank Prielipp stellen im carrousel-Theater Fragen in den zeitlosen Theaterraum. Was hat Schillers Bühnenklassiker mit der Lebenswirklichkeit heutiger Jugendlicher zu tun? Lassen sich die höfischen Intrigen, der noch allzu schüchterne Bürgerstolz, die parfümierte Dummheit des Adels und die Klassen übergreifende Liebe zweier Heranwachsender ins zeitgeistige Jugendtheater transportieren? . Nicht ohne deutliche Verschiebung der Akzente. Aus dem "gegen die Tyrannen" gerichteten revolutionären Tendenzdrama wäre ein Stück über den Konflikt der Generationen herauszuschälen. Doch leider kann sich Schöbel nicht dazu durchringen, sein Schauspielseminar zu einer Hommage an die Kraft der radikalen Emotionen zu machen. Statt dem jugendlichen Publikum zu zeigen, wie es die korrupte Welt der Erwachsenen durch die Brille leidenschaftlicher Liebe sehen und sich aus ihr wegstehlen könnte, hat er es auf die Weihen des deutschen Stadttheaters abgesehen. Gitarren-Gezupfe, Video-Überwachung, das Hantieren mit diversen Handys - all das bleibt modischer Firlefanz in einer Inszenierung, die es vor allem den Deutschlehrern recht machen möchte. Hier wird kein Text zerschreddert, sondern Schiller-Sprache deklamiert. Mirko Zschocke ist ein machtbesessener Präsident von Walter, Steffen Pietsch ein hinterhältiger Sekretär Wurm, Manfred Struck ein eitler Marschall von Kalb. Birgit Bertold und Lutz Dechant geben das Ehepaar Miller als kleinkarierte Spießer mit Aufmüpfigkeits-Einsprengseln. Luise und Ferdinand leiden bei Chiaretta Schörnig und Arnim Beutel (Foto) an melancholischer Hoffnungslosigkeit. Wie Mehltau liegt die Ahnung ihrer zum Tode verurteilten Liebe über einer Inszenierung, die keinen Mut hat, uns das bürgerliche Trauerspiel ganz neu zu buchstabieren.

Frank Dietschreit

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