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Biss in die Schmelzmasse. Die Runde der Pizza-Tester. Foto: Georg Moritz

© Georg Moritz

Kultur: Käseinseln und grobe Wurst

Beim Fertigpizza-Test im Hotel Swissôtel am Kurfürstendamm konnten die runden Hefeteigstücke mit Tomate und Salami nicht wirklich überzeugen.

Als die Architekten und Ingenieure der Londoner Tower Bridge ihrem Bauwerk einen mittelalterlichen Anstrich gaben, folgten sie einer Mode des Viktorianischen Zeitalters. Doch mit ihrer Entscheidung drückten sie mehr aus, als ihnen vielleicht bewusst gewesen ist. Denn die bauliche Hommage an eine in die Ferne gerückte Epoche versinnbildlichte, wie mühselig die Überquerung eines Flusses wie der Themse für die Vorfahren war und wie froh man heute sein darf, dies überwunden zu wissen. Analoges hält die Geschichte der menschlichen Ernährung parat – und ausgerechnet ein Gericht, das derart fest in unserem Alltag verankert ist, dass man es zu den Grundnahrungsmitteln rechnen muss. Die Pizza transportiert sowohl frühere Mühen, an warmes Essen zu kommen, als auch den Stolz, das Problem gelöst zu haben. Wie es scheint: ein für alle Mal, denn mit Einführung der Fertigpizza wurde eine globale Verbreitung und ständige Verfügbarkeit möglich, die bis heute ohne Vergleich geblieben ist.

Vom Konzept her bleibt dieser Abkömmling des archaischen Teigfladens wie des belegten Brotes auch dann eine vollständige Mahlzeit, wenn sie bloß als Imbiss genossen wird. Diesem Vorzug, der die Pizza gerade für junge Menschen auf der Suche nach der verpulverten Energie interessant werden lässt, genügt die Nahrungsmittelindustrie mit einem breiten Angebot und bisweilen ausgefallenen Dessins. Mit diesen Belägen versuchen die Hersteller von Pizzen, die in der Tiefkühltruhe angeboten werden, jener grauen Effizienz zu entkommen, die die Massenversorgung im Allgemeinen kennzeichnet. Die monatliche Testrunde wollte deshalb wissen, was es mit diesen Produkten auf sich hat. Sie entschied sich für einen Klassiker, die Pizza Salami. Das geschah zum einen, weil sie trotz aller Variationen immer noch zu den beliebtesten zählt, zum anderen aber auch wegen der Vergleichbarkeit. Denn nahezu jede Marke hat Salami im Programm. Überdies scheinen hier die Kontraste zwischen Boden, Tomate, Käse und Wurst, die der Pizza die Gleichförmigkeit nehmen, am deutlichsten entwickelt.

Danijel Kresovic empfing die Testrunde im Restaurant „44“, das in der ersten Etage des Swissôtels am Kurfürstendamm liegt. In der Küche schob seine junge Brigade dann in mehreren Tranchen die in der Hochgastronomie unüblichen Rundstücke in den Ofen. Genauso wie ihr Chef hatten fast alle kaum Erfahrungen mit TK-Pizza, denn die Arbeit in einem Spitzenrestaurant zieht nach sich, dass eine gewisse Entfremdung von der Alltagsernährung stattfindet. Vorbei scheinen wohl die Zeiten, dass Köche sich nach Küchenschluss demonstrativ an Currywurst laben – oder eben an einer Pizza im Vorübergehen.

Es gibt gute Gründe, das nächste Mal im Bioladen an „Demeter Natural Cool“ vorbeizugehen. Sie wirkte auf Kresovic, als sei sie von Leuten gemacht, die sich von ihren Kindern beschreiben ließen, wie eine Pizza auszusehen hat, ohne je eine gegessen zu haben. Allein ein Aroma wie von gebratenem Hackfleisch, in das Oregano geraten ist, reicht ganz und gar nicht, um einer recht konkreten Erwartung zu genügen, die jeder bei Pizza hat. Da nützt es auch nichts, dass zu 100 Prozent Bio-Zutaten verarbeitet wurden. Als reichte es schon, hochwertige Grundlagen einzusetzen, um dafür die Kochkunst fahren zu lassen. Auch „Dennree Al Forno“ aus derselben Sparte erinnerte sozusagen an Selbstgestricktes. Zu einem unangebrachten Honigton im Teig irritierte die Würzung mit Nelke. „BioBio Salami-Rucola“ vom Discounter Netto frönte der Süße, die sich ohnehin heute gerne einmal in salzige Speisen schleicht, um ihnen Volumen zu verleihen. Zwar kam es Juror Peter Frühsammer so vor, als käme die säuerliche Tomatenschicht direkt aus der Dose, aber er empfand die mit Salamischeiben geizende Pizza insgesamt „gut ausgewürzt“, so dass der Gefriertrocknungston von Rucola kaum weiter ins Gewicht fiel. Ebenfalls süßlich, beinahe wie Butterkeks gab sich der Boden der ansonsten recht salzigen „Dr. Oetker Ristorante Pizza Salame“. Allerdings musste sich die Runde die Hefe – eigentlich eine unerlässliche Geschmackskomponente – dazu denken, was besonders beim knusprigen Rand auffiel, der Grissini ähnelte. Noch mehr störte sich Kresovics an der Salami, deren Aroma an jene vom Großhandel bezogene Fertigwürze denken ließ, die einem die Allerweltsmetzgerei verleidet. Obwohl der Teig von Oetkers „Die Ofenfrische Pizza Salami“ unter Hitze richtig aufgeht, dann aber relativ zäh bleibt, vermissten die Tester die Hefenote, so dass auf dem Teller nicht viel mehr liegt als ein warmes Brot mit geschmolzenem Käse und einer Salami ohne nennenswertes Profil.

Während beim Verzehr von Oetker Tomate kaum auffiel, scheint sich die doch ziemlich fettige „Trattoria Alfredo Steinofen Edel-Salami“ an einen Grundwert der schnellen Küche anzulehnen: die sattsam bekannte Miracoli-Sauce. Zusammen mit einem röschen Boden, der Peter Frühsammer an Tiroler Schüttelbrot erinnerte, ergibt sich eine Pizza, der es um eine Würze geht, die vielen künstlich vorkommt. Weniger davon bekommt, wer „Original Wagner Steinofen Salami“ mit eher zurückhaltender Tomatensauce kauft. Auch hier wieder ein dem Mürbeteig verwandter Boden, jedoch auch eine Salami, der eine gewisse Frische nicht abzusprechen ist.

Wenn bislang vom Käse wenig die Rede war, so liegt das daran, dass die meisten Probierstücke von einer akzentlosen Schmelzmasse überzogen waren. Geradezu matschig fiel sie bei „Rewe Pizza Classica Salami“ aus, bei der überraschend salzarmen, dafür wiederum recht süßen und von Knoblauchpulver akzentuierten „Aldi Mama Mancini Edel-Salami“ musste Kresovic an Heiße Hexe denken und auf „Ja! Pizza Salami“ verbanden sich Teig und Sauce zu einem Schleim, in dem sich Edamer-Inseln bildeten. Vom Käse der „Marziale Pizza Diavolo“ steigt fast so etwas wie ein Frittierduft auf und bei der Verkostung von Pennys „Caasa Moderna Salami“ bemerkte Milo Smits vom Swissôtel lakonisch „da ist nichts Schönes dran“.

Um es gleich vorwegzunehmen: Bei diesem Test gibt es keine Sieger. Denn dafür schienen die Hersteller zu bemüht zu sein, den Standard so niedrig wie möglich anzusetzen. Womöglich deshalb haben vor allem Jugendliche so viel Freude daran, die Fertigpizza zu verfeinern, um sie dann hoffnungslos zu überladen und ihre geschickt austarierten Proportionen umzustoßen. Doch wenige Pizzen verdienten sich immerhin ein paar Meriten. Zu ihnen gehörte die italienische „Antico Forno a Legna Pizza Speck et Salami“, die in den Galeries Lafayette angeboten wird. Den mit scharfer Salami und einem ernst zu nehmenden Käse belegten Hefeboden nannte Frühsammer eine „anspruchsvolle Kiste“. Ebenfalls mit angenehmer Schärfe wartete die grobe Wurst auf der „Pizza Diavolo“ von Mitte Meer in der Charlottenburger Kantstraße auf, die allerdings enorme Rustikalität an den Tag legt. Ohne Wein kommt sie also nicht zum Tragen. Der schien in die „Dr. Oetker Pizza Traditionale Salame“ irgendwie schon eingebaut. Schließlich bewegte sich der ziemlich hefige Boden, der im Ofen hochsteigt fast wie eine Foccaccia, in diese Richtung, und drängte die übrigen Zutaten in die Rolle von Nebendarstellern. Schließlich gefiel der Runde noch „Edeka Italia Pizza Salami Milanese“ als abwechslungsreiches sowie gut abgerundetes Fertigprodukt. Es dürfte aber bezeichnend sein, dass mit dem Flammkuchen-Derivat „Edeka Italia Holzofenpizza Prosciutto“ mit Mozzarella, Crème fraîche und Frischkäse ein Erzeugnis noch am besten abschnitt, das sein Thema verfehlte.

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