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Kultur: Kaffee am Meer

Leben am Spülsaum: Der Berliner Lyriker Ron Winkler hat den Leonce-und-Lena-Preis gewonnen

Man hört es ihm gleich an: Er ist ein Dichter. Ron Winkler spricht sanft, melodiös, horcht seinen Sätzen nach. Ein schmaler Typ: Schwarze Kleidung, braune Strähnen, schräges Lächeln. Er sei Bohemien, sagt er, und das glaubt man ihm sofort in diesem Café in Mitte, der tägliche Milchkaffee müsse schon sein, bisher konnte er sich den noch immer leisten.

Denn reich macht ihn die Poesie nicht, auch wenn er seit Jahren von ihr lebt: Von Lesungen, Veröffentlichungen, Stipendien. Zuerst der 1. Preis beim Allegra-Lyrikwettbewerb 1999, und vor drei Wochen dann der mit 8000 Euro dotierte Leonce-und-Lena-Preis des renommierten Darmstädter Lyrik-Wettbewerbs „Literarischer März“, der ihn einige Zeit über Wasser halten wird. Momentan übersetzt er Gedichte der US-Dichter Jeffrey McDaniel und Billy Collins. Und im April tritt er ein Aufenthaltsstipendium an, im Künstlerhaus Cismar, am Meer. An der Ostsee war er schon: Vier Wochen, die er im Künstlerhaus Lukas in Ahrenshoop verbrachte, waren die Motivquelle seines neuen Lyrikbands „Vereinzelt Passanten“ (Kookbooks).

Das Buch versammelt Naturgedichte, die „die Tradition auf Distanz halten“, wie Winkler sagt. Das Meer sei die „Ursuppe“ für diese neueren Texte, die das Ostseethema ausdauernd variieren. Natur, sagt er und blickt ins Ungefähre, sei für ihn ein „System von Phänomenen“, das er „auszugraduieren“ versucht. Das kann man nach etwa 30 Gedichten voller Sand, Wind, Wellen und Wetter ermüdend finden und nur selten magisch oder überraschend, da mag man Ironie in Wendungen wie „die Seeteilungen (siehe Moses)“ entdecken oder nicht – die Texte haben durchaus ihre hellen Momente: „jeden Morgen angelst du die Himmel / des vorigen Tags aus der See, unbeirrt / alles in einen Eimer, auch das ist Kultur- / industrie, und dein Bracklachen darauf / die Flaschenpost“. So wird die Natur für den Poeten auch zu einem „Vehikel für eine Haltung“, die er den Leser selbst entkorken lässt. Seine Gedichte sind Versuche, Etüden, wie sie der Literaturwissenschaftler Peter Geist in seinem Nachwort nennt. Und dass die Texte in ihrem „Seestaunen“ manchmal mehr wissen als ihr Autor, das ist dem nur recht.

Winkler, 1973 in Jena geboren, will ohnehin, dass sein Werk für sich spricht, ein Porträt seiner Person sei eigentlich unnötig. Lange ziert er sich aber nicht, dazu redet er zu gern über seine Kunst, und dazu ist ihm sein Image doch zu wichtig: Auf einen „Paradigmenwechsel“ in seinem Schreiben weist er hin, vor dem aktuellen Buch hatten ihn historisch revolutionäre Figuren beschäftigt und schwere mythologische Themen. Die kamen letztes Jahr in Darmstadt nicht so gut an. Nun habe er das alles „über Bord gekippt“ und seinen Stil gefunden. Obwohl der sich, das ist ihm wichtig, auch wieder ändern darf. Sein nächstes Projekt wird sich mit der DDR, mit Kindheit und Geschichte auseinander setzen.

Fürs erste jedenfalls fand die Jury, dass es Winkler gelungen sei, „das Naturgedicht ein weiteres Mal zu aktualisieren und als Referenz eines modernen Lebensgefühls nutzbar zu machen“. Diese Würdigung macht ihn selbstbewusst. „Man merkt, dass man sich als Autor entwickelt hat, dass man ernst zu nehmen sein sollte“, sagt Winkler. Der Preis als Beweis.

Er weiß, dass er im Literaturbetrieb angekommen ist. Und auf ihn angewiesen. Und so setzt er nicht nur „Hyperlinks“ zu den großen, den größten Namen, indem er Zeilen wie „mit Inger Christensen“ oder „mit Allen Ginsberg“ unter Gedichte schreibt und so poetische Verwandtschaft formuliert. Durch Kollegenwidmungen („für Crauss“) verortet er sich auch in einem sehr lebendigen Netzwerk. Bedeutsam ist hier Winklers verdienstvolle Rolle als Herausgeber der Literaturzeitschrift „intendenzen“, die er seit 1997 verantwortet. Als Knotenpunkt sowohl für junge als auch für etablierte Dichtung ist die Zeitschrift, die in Winklers Berliner Wohnung entsteht, ein wichtiges Sprungbrett und Sprachrohr der deutschsprachigen Lyrikszene.

Für Winkler hat derweil ein neuer Abschnitt begonnen. So kann er heute eben nicht mehr ohne Honorar Lesungen geben, wie noch vor zwei Jahren bei den Berliner Veranstaltungen von „Kookread“ oder dem Literaturlabor „lauter niemand“. „Das würde das System zerstören“, die Preise verderben, Winkler ist Profi, er versteht sein lyrisches Geschäft. Manchmal ist es, als würden seine Küstengedichte die Verhältnisse in diesem unprofitablen Randsystem, dem „Spülsaum“ des Buchmarkts, beschreiben: „das / Leben ist manchmal so, auch die Landschaft. // die einen erheben Muschelzoll, / andere halten lieber Ausschau // nach dem gängigen Raubritterverhalten oder / einem Karren voll Worte, es zu beschreiben“.

Zum Schluss holt Winkler ein schwarzes Notizbüchlein hervor, schlägt es auf und zeigt auf ein Wort. „Authentifizell“ steht da, in geschwungenem Schwarz. So seien seine Texte: Mischungen aus Realitätsabbild und Fiktion, aus Dichtung und Wahrheit. Und so bringt er sich selbst auf den inszenatorischen Punkt. „Mit freundlichen Möwen“ signiert Ron Winkler sein Buch. Kein Meer rauscht im Café. Die Espressomaschine gurgelt im Hintergrund. Er bleibt noch sitzen, vielleicht bestellt er noch was.

Ron Winkler liest am 6. April um 20 Uhr in der Literaturwerkstatt Berlin (Knaackstraße 97, Prenzlauer Berg)

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