zum Hauptinhalt

Kultur: Kalt. Kalt. Kalt.

Wir sind alle Karrieristen: Falk Richters „Möwe“ an der Schaubühne – ein Selbstporträt

Erst mal wird richtig losgeholzt: „Die hundertste Nora-Neuinterpretation mit neuem Schluss, wer braucht denn das? Und wenn irgendwo auf der Welt ein Krieg ausbricht, setzt man schnell ,Nathan der Weise‘ auf den Spielplan. Dazu überall ,Emilia Reloaded‘, ,Galotti Revisited’... Oder alle russischen Romane an einem Abend. Das ist doch langweilig!“ Kostja (Mark Waschke) lässt kein gutes Haar am Berliner Theaterleben. Das alte Theater ist tot. Es lebe das neue.

Problem nur: Die Kollegen, die da attackiert werden, von Thomas Ostermeier bis Michael Thalheimer, sind noch nicht mal alt. Sie sind genauso alt oder jung wie jener Regisseur, der sich hier so unverhohlen in der Figur des Dichters spiegelt. Wenn Kostja – in Ulrike Zemmes schnoddriger Neuübersetzung – ziemlich desillusioniert über sein Schicksal als Regisseur und Autor sinniert, meint man Falk Richter selbst zu hören. Das kann man selbstironisch finden. Oder nur eitel.

Neu oder alt, was ist das auch für eine Frage? Die Erkenntnis: „Ob alt oder neu, das ist doch völlig egal. Hauptsache, man schreibt was“, kommt ziemlich spät, für Kostja zu spät: Da werden die Manuskripte schon zerrissen. Die Inszenierung von Tschechows „Möwe“ jedenfalls, die nach Salzburg und Zürich nun auch an der koproduzierenden Schaubühne Premiere hat, ist weder neu noch alt, sondern vor allem eins: Falk Richter. Denn die Diagnose, dass alle, vom Jungliteraten Kostja über die Möchtegernschauspielerin Nina bis hin zur eitlen Arkadina und ihrem traurigen Liebhaber Trigorin, nur kalte Karrieristen sind, verwundert kaum, wenn man an Richters letzte Werke „Electronic City“ oder „Unter Eis“ denkt. Zugegeben, das hier sind keine Manager auf Flughäfen oder Hotels irgendwo auf der Welt, sondern in der Provinz gestrandete Verlierer. Doch der Grundton kalten Ehrgeizes ist der gleiche. Es heißt: Alle gegen alle.

Das gilt zuallererst für Kostja, dem Mark Waschke erschreckende Härte gibt. Ein blonder Wuschelkopf in Aeroflot-T-Shirt und Anzug à la Boris Becker, der sich an seinen eigenen Theatervisionen berauscht. Jeder, der ihn stört, wie Jule Böwes trauriges Problemkind Mascha, wird brutal beiseitegewischt wie eine Fliege. Selbstzweifel, auch nur Sensibilität oder Mitleid sind ihm fremd. Und wenn Nina in ihrem Bühnen-Monolog klagt: „Kalt. Kalt. Kalt. Leer. Leer. Leer.“ (die „Menschen, Löwen, Adler und Rebhühner“ erspart uns Falk Richter), spricht sie auch über die Geistesverfassung ihres Freunds. Liebe? Das gibt’s hier nicht.

Nina jedoch ist auch nicht besser: Yvon Jansen gibt sie als schlau berechnendes Girlie. Trigorin, diese traurige, alternde Figur (anrührend: André Jung), wird gnadenlos verführt. Dass diese bodenständige Person an ihrem Traum zerbricht, wie die Möwe mit gebrochenen Flügeln zurückkehrt, glaubt man ihr nicht. Das nächste Engagement wartet doch schon. Einziger Lichtblick im traurigen Reigen ist Sylvana Krappatschs Arkadina: eine US-Serienfigur wie aus Dallas entsprungen, mit mondän auftoupiertem Haar, Strassgürtel und knallroter Buse. Alles Oberfläche hier, alles Spiel. Jeder Satz ein Auftritt. Das ist, in seiner Selbstverliebtheit, zumindest ehrlich. Und obendrein noch ziemlich komisch.

Überhaupt herrschen hier Emotionen wie aus der Soap-Opera. Leidenschaftlich. Aber banal. Dass alle Protagonisten in Selbstmitleid verfallen, ständig klagen „Ich bin so einsam“, oder „Ich bin so unglücklich“, ist nicht mehr als lamoryante Pose. Und: Keiner interessiert sich dafür. Jeder ist nur mit sich beschäftigt. Die Fallhöhe, die dadurch entsteht, dass Tschechow Banalität und Verzweiflung in fragiler Balance hält, fehlt in Berlin. Hier herrscht ein Weltekel ohne Welt. Traurig. Aber langweilig.

Wieder heute, am 17., 22.-24., 26. und 31. Oktober, jeweils 20 Uhr.

Christina Tilmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false