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Kultur: Kalter Affe Angst

Heute beschließt der Bundestag das Filmfördergesetz. Die Neufassung bringt dem deutschen Film Millionen – aber weniger als erhofft. Das Resultat: ein Reförmchen Kalter Affe Angst

Mehr Geld für den deutschen Film: Das wollen sie alle. Mehr zahlen für den deutschen Film: Das will eigentlich keiner. Doch mehr zahlen dafür, dass er wachse, blühe und gedeihe, müssen sie nun schon – nur eben nicht alle. Auf diese verkürzte Formel lässt sich das äußerst komplexe Regelwerk bringen, das nach monatelanger Branchendebatte heute voraussichtlich einstimmig vom Bundestag verabschiedet wird: die Novelle des Filmförderungsgesetzes (FFG).

Fünf Jahre war es in seiner letzten renovierten Form gültig, und weitere fünf Jahre soll es ab 1. Januar in neuer Frische bestehen – das 1968 aus der Taufe gehobene „sonderabgabenfinanzierte Subventionsgesetz“, das ein abschreckend benanntes, aber sehr effektives Unternehmen alimentiert: die Filmförderungsanstalt (FFA). Eine Anstalt zudem, die den deutschen Steuerzahler nichts kostet – die FFA ist die einzige Filmgelderverteilmaschine, deren Etat sich allein aus Zuwendungen der vom Kinofilm profitierenden Branche speist. Als da sind: die Fernsehsender, die Kinos sowie die Video- und DVD-Händler. Nun möchte man meinen: Je besser die Produktionsbedingungen für deutsche Filme, desto besser für die, die in der weiteren Verwertungskette von ihnen profitieren. Desto größer auch die Bereitschaft, die finanzielle Wiederaufarbeitungsanlage FFA weitaus kräftiger zu päppeln als bisher. Ja, wenn das so einfach wäre.

Unedle Spender

Da mögen „Good Bye, Lenin!“, „Das Wunder von Bern“, „Rosenstraße“, „Herr Lehmann“ und mancher schöne Erfolg unter den Kinderfilmen die Branche derzeit noch so sehr verwöhnen und den einheimischen Marktanteil fast in paradiesisch französische Dimensionen schnellen lassen: Die Branche selber verwöhnt nur ungern. Die Fernsehveranstalter etwa werden zum Zahlen nur gebeten – und zieren sich und tricksen und zogen erste Angebote, die das Vorhaben zu einer echten Reform hätten werden lassen, scheibchenweise zurück. Die Kinos und Videohändler dagegen werden laut Gesetz zum Zahlen verpflichtet – und wollen sich nun womöglich per Verfassungsklage gegen die Ungleichbehandlung wehren. Mit anderen Worten: Die Gesetzesnovelle kommt, aber sie kommt auf Krücken.

Bisher brachten die Pflicht- und Freiwilligzahler rund 46 Millionen Euro in den FFA-Fördertopf für Produktionen, Projekte, Verleih und andere Abnehmer – etwa die Export-Union, die im Ausland gute Laune für den deutschen Film machen soll. Die Kinobetreiber waren 2002 mit rund 21 Millionen Euro dabei, wobei sie sich diese Kosten mit den Verleihern teilen, der Video- und DVD-Handel musste noch mal 14 Millionen Euro drauflegen. Die öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern spendierten zusammen rund elf Millionen Euro – peinlich wenig, wenn man die milliardenschweren Etats der gebühren- und werbefinanzierten Sender betrachtet.

Es sind auch die Sender, die die Novelle nun fast zuschanden geritten haben. Im Frühjahr noch hieß es, sie wollten ihren Anteil auf rund 22 Millionen Euro verdoppeln – und Kulturstaatsministerin Christina Weiss, die den deutschen Film mit bisweilen etwas wächsernem Enthusiasmus feiert, verkündete einen prächtigen Erfolg. Verfrüht, wie sich zeigte. Erst gaben die Öffentlich-Rechtlichen zu verstehen, einen Teil des neuen Batzens nur als Sachleistungen zu zahlen – und tatsächlich erhöhen sie ihr Millionenpaket im nächsten Jahr laut FFA-Präsident Bähr zunächst nur um 20 Prozent. Dann kamen die Privaten auf die verblüffende Idee, ihre Jahresüberweisung künftig sogar leicht zu reduzieren, aber sieben Millionen Euro zusätzlich in Werbetrailern für deutsche Filme zu verrechnen – und verkauften das auch noch als besonders großzügiges Opfer. Nur: Für die eigentliche Produktion von neuen deutschen Kinofilmen bringt das keinen Cent.

Logisch, dass bei derlei Hinhalte- und Verwässerungstaktik die Pflichtzahler rebellieren. Logisch, dass sie fordern, die mächtigen Sender wie im Zentralstaat Frankreich zum Zahlen zu verdonnern – ein Unterfangen, das im politisch, kulturell und fernsehmäßig föderal organisierten Deutschland offenbar nur schwer verwirklichbar erscheint. Ihnen selber hilft das freilich nichts: Die Kinos zahlen künftig im Schnitt 2,6 Prozent ihres Nettoumsatzes an die FFA, der Videohandel ist laut Gesetz mit künftig durchschnittlich 2,2 Prozent seines Bruttos dabei. Dieses feine jeweilige Plus von 0,4 Prozent dürfte rund sieben Millionen Euro mehr in die FFA-Kassen spülen – sofern die Deutschen weiter fleißig ins Kino gehen und DVDs kaufen.

So verständlich der Protest der Pflichtzahler erscheint – die Lebensgrundlage wird ihnen mit der Erhöhung der Film- und Videoabgabe auch nicht gerade entzogen. Und wie schwer wiegt der Schmerz noch, wenn man bedenkt, dass die Belastung gerade mal von 15 auf 18 Cent pro Kinoticket steigt, dass die Kinobranche nach wie vor nur den halben Mehrwertsteuersatz zahlt und einen Teil der abgeführten Gelder auf die eigenen Mühlen zurückleiten kann? Ein sanfter Hinweis schließlich darauf, dass etwa der französische Staat seine Kinos zugunsten des heimischen Films mit satten elf Prozent pro Ticket schröpft, sollte die lautesten Schreier unter den Verbands-Lobbyisten zumindest für einen Augenblick ins Nachdenken stürzen.

Verdruss allerorten. Auch die schöne Seite der Gesetzesnovelle – wohin all die Millionen nun fließen mögen – bleibt im Grundsatz strittig. Wie bisher wird die FFA etwa die Hälfte ihres operativen Etats, etwas mehr als bisher, für die Referenzfilmförderung ausgeben: Damit werden erfolgreiche Produzenten automatisch belohnt, wenn sie sich an neue Projekte wagen. Nur die Modalitäten wurden geändert, und dies sehr zum Verdruss kleinerer Produzenten: 150000 Zuschauer (bisher: 100000) muss ein Spielfilm ins Kino gelockt haben, damit Referenzfilmförderung fließt; nur wenn die Wiesbadener Filmbewertungsstelle, dies wurde in letzter Minute durchgedrückt, ihren „Besonders wertvoll“-Stempel zückt, soll weiter die 100000-Zuschauer-Schwelle genügen.

Dem kulturell innovativen, weniger massenwirksamen Film aber – und das ist die kulturpolitisch bedeutsamste Premiere bei der bislang streng wirtschaftsbezogen operierenden FFA – bleibt eine Hintertür, sofern er sich bei Festivals und Ehrungen behauptet. So sollen ein Deutscher Filmpreis, ein Oscar oder Goldene Palmen, Bären oder Löwen bei der Förderung künftig 300000 Zuschauern an der Kinokasse gleichkommen. Und aus lauter Begeisterung für neue Begriffe und Regelwerke werden bei der nun „kriterienbasierten Referenzfilmförderung“ auch noch zwei weitere kulturbezogene Kampfgewichtsklassen – entsprechend 150000 und 50000 Zuschauern – eingeführt.

Gefährliche Hürden

Doch auch diese schöne neue automatisierte Förderwelt hat ihre Schattenseite: Filmproduzenten, die solchen Festival- oder Preisbonus für ihr nächstes Projekt in Anspruch nehmen wollen, müssen mit dem „Referenzfilm“ für diese Förderung mindestens 50000 Zuschauer ins Kino gelockt haben. Was wird da aus innovativen Filmemachern wie Oskar Roehler, der etwa mit „Der alte Affe Angst“ und 39000 Besuchern unter der magischen Schwelle blieb? Er und alle anderen begabten Leute, über die der deutsche Film zum Glück reichlich verfügt, müssen sich künftig umso intensiver auf dem eigentlichen Kreativmarkt der FFA balgen, der so genannten Projektförderung.

Diesem Fördertopf sollte ursprünglich ein beträchtlicher Anteil jener zusätzlichen Millionen zugute kommen, die die FFA-Novelle bringt. Nun werden es statt der erhofften knapp 20 Millionen Euro wegen des Mauerns der Sender wohl einstweilen nur knapp die Hälfte sein. Rund neun Millionen mehr pro Jahr: So bleibt die Reform, den zähen Zahlern und unedlen Spendern abgerungen, nur ein Reförmchen. Der Blick nach Frankreich lehrt, wie zaghaft der Gesetzgeber hierzulande in Sachen Film von seinen Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch macht. Das Wunder von Berlin: Sein Drehbuch muss erst noch geschrieben werden.

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