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Kultur: Kalter Marmor

Das DSO mit Kent Nagano und Bernhard Hartog.

Gerade erst haben die Philharmoniker ihren Ersten Konzertmeister Guy Braunstein verabschiedet, am Ende dieser Saison sagt nun Bernhard Hartog dem Deutschen Symphonie Orchester Adieu. 33 Jahre saß er am ersten Pult, erlebte fünf Chefdirigenten, darunter Kent Nagano, den heutigen Ehrendirigenten des DSO. Mit ihrem gemeinsam konzipierten Abend zu Beginn der Saison bekennen sich die beiden einmal mehr zu den Anfängen der musikalischen Moderne und zur Musik des 20. Jahrhunderts, Nagano am Pult, Hartog als Violinsolist. Da passt es gut, dass Bartóks Violinkonzert Nr. 1 solistisch beginnt, mit behutsamen, dann zunehmend kräftigen Echos der Orchestergruppen: Musik als ansteckende, sich ausbreitende Sehnsucht, die Fugenform als Ausdruck schier endlosen Hoffens, mit langen Vorhalten und weiten Intervallschritten. Im Allegro giocoso muss Hartog sich vor lauter virtuosen Eskapaden ein wenig mühen. Es ist dem Andenken eines Wildfangs gewidmet: Bartók hatte das Konzert für die heiß geliebte Geigerin Stefi Geyer komponiert – die ihn nicht erhörte.

Aufbrüche, Schwellenwerke: Charles Ives’ Largo (1901) in der Bearbeitung von Anton Plate (ein Weggefährte Hartogs) für Violine und Orchester ist ebenfalls von Riesenmeilenstiefel-Intervallen, von weitem, offenem Gelände geprägt. Dazu Plates großstädtisch pulsierende Ives-Hommage „At the River“ (2003) und Richard Strauss’ Alpensinfonie, komponiert zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Die Kombination ähnelt Naganos Berliner Ives/Strauss-Konzert 2006 mit dem DSO, ebenfalls in der Philharmonie, ebenfalls mit Strauss’ letzter Symphonischer Dichtung. Erneut rückt der Maestro die Alpensinfonie weg von Wagner und Mahler hin zu den Neutönern, verzichtet auf bildersatte Lautmalereien, drängt vorwärts, abstrahiert, dissoziiert. Die Almglocken – kein Gebirgsidyll, sondern eine irritierend missstimmige Intervention. Nagano meißelt die Alpen in kalten Marmor und läutet die Sturmglocken für ein Europa, das kurz darauf im Chaos versinkt. Seine Unerbittlichkeit ist allerdings nicht frei von Routine, es fehlt an Präzision, an Spannung bis zum letzten Ton. Kein Wunder, dass der Applaus die Stille nach der finalen Finsternis zu früh unterbricht. Christiane Peitz

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