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Amore! Damit Zakirov als Graf Almaviva und Liudmila Lokaichuk als Rosina.

© Kammeroper/Mundt

Kammeroper Schloss Rheinsberg: Happy End mit Mücken

So unterhaltsam kann Musiktheater sein: Ein junges, spielfreudiges Solistenensemble macht bei der Kammeroper Schloss Rheinsberg im Norden Brandenburgs Gioacchino Rossinis "Barbier von Sevilla" zum perfekten Sommervergnügen

Zu Beginn blendet die Sonne. Doch das hält nicht lange an; nach 30 Minuten kann man in der Kammeroper auf Schloss Rheinsberg die Open-Air-Bühne wieder scharf in den Blick nehmen. Schon zur Ouvertüre des „Barbier von Sevilla“, den die Finalisten des jährlichen Internationalen Festivals junger Opernsänger präsentieren, wird gerannt, gezerrt, wild gestikuliert. Hier entlädt sich jugendliche Energie – zum Start einer energetisch aufgeladene Version von Rossinis Klassiker. Graf Almamiva will das Herz der schönen Rosina gewinnen, doch der alte Doktor Bartolo steht ihm im Weg. Also ruft Almaviva den Kuppler Figaro zur Hilfe, der das Paar trickreich zusammenbringen soll.

Der 1984 geborene Russe Damir Zakirov überzeugt als Almaviva mit einer kristallinen Stimme, die in den besten Momenten die Reife eines altitalienischen Rosés erreicht. Sein Witz, seine Präsenz, sein zurückgegeltes Haar geben der Figur des Grafen die magnetische Wirkung eines Charmeurs auf Viagra – und er versteht großartig mit dem Publikum zu kokettieren. Und wer würde sich nicht in die 27-jährige Russin Liudmila Lokaichuk verlieben? Ihr Lächeln lässt jede Koloratur wie ein locker dahingezwitschertes Nachtständchen wirken. Opera buffa im besten Sinne des Wortes.

Während des Sonnenuntergangs beginnen trällernde Vögel sich in den Klang des famosen Preußischen Kammerorchesters Prenzlau zu mischen. Dirigent Stefan Sanderling muss sich stellenweise ducken, damit ihm die Spatzen nicht die Brille vom Gesicht schlagen. Bei so viel natürlicher Energie bleibt Hongyu Chen als Figaro nichts anderes übrig, als kräftig durchzustarten: Sein „Largo al factotum“ (Figaro, Figaro, Figaroooo!!!), schmettert der 1985 in der Mongolei geborene Sänger mit der Chuzpe eines Getriebenen, ohne jedoch auf die komplexen Feinheiten der Wortfolgen zu achten. Das Tempo ist dem Bariton dann doch etwas zu schnell, so dass er die kurzen italienischen Silben und die stakkatoartigen Phrasen zum Teil verschlucken muss. Schade.

Ohnehin muss die Spracharbeit für die Sänger eine Herausforderung gewesen sein: Die Arien singt das Ensemble auf Italienisch, die Rezitative auf Deutsch. Regisseur Frank Matthus hat einige Textpassagen dem Austragungsort angepasst und mit aktuellen Kommentaren versehen. Der Plan geht auf, man fühlt sich köstlich unterhalten und merkt zugleich, welch zeitlose Oper dieser „Barbier“ eigentlich ist. Zu Recht schreibt Matthus im Programmheft: „Es ist der Hip-Hop des 19. Jahrhunderts, weil es musikalisch so leichtfüßig und rhythmisch ist.“

Dies nimmt vor allem in dem griesgrämigen Doktor Bartolo Gestalt an, gesungen vom 1986 geborenen Russen Egor Prokopjew. Eine Entdeckung! Der Bassbariton schöpft das darstellerische Potenzial des notgeilen Frauenjägers meisterhaft aus, jede Arie gerät zum Katz-und-Maus-Spiel. Man ist schlicht gefesselt von so viel charakterlicher Schärfe und stimmlicher Brillanz. Etwas holzschnittartig wirkt dagegen Damian Delvaux de Fenffe als korrupter Doktoren-Gehilfe Basilio.

Den Gesamteindruck kann das nicht trüben. Denn die darstellerische Energie hält über die gesamten drei Stunden hinweg. Ob nun Almamiva den Betrunkenen mimt oder Rosina sich hinter dem Duschvorhang des Negligés entledigt: Das Ensemble steckt viel Kraft in die kleinen Details dieser uneitlen Inszenierung. Die umwerfende Kulisse vor dem friderizianischen Schloss und dem ruhenden See bestärkt den Eindruck. Der ist dermaßen elektrisierend, dass man darüber sogar die dreisten Mücken vergisst, die in Schwärmen vom See zum Schlossplatz herüberfliegen.

Wenn zum Funkeln der Sterne der gehörnte Doktor Bartolo endlich überlistet wird und anstelle der jungen Rosina die Bedienstete (von Stefanie Zillig sexy gesungene) Marzelline zur Ehefrau bekommt, weiß man: Dieser „Barbier von Sevilla“ ist wie für Schloss Rheinsberg erfunden. Tomasz Kurianowicz

Wieder am 26. und 27. Juli, 20 Uhr

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