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Kultur: Kampf gegen das Weltverhängnis Versuchung RAF: eine Berliner Diskussion

Die RAF-Ausstellung der Berliner Kunstwerke schließt in Kürze ihre Pforten. Nach der Empörung, die das Vorhaben anfangs ausgelöst hat, muss man sagen: in aller Stille.

Die RAF-Ausstellung der Berliner Kunstwerke schließt in Kürze ihre Pforten. Nach der Empörung, die das Vorhaben anfangs ausgelöst hat, muss man sagen: in aller Stille. Die künstlerische Annäherung an das Thema ist denn wohl doch zu dürftig. Das Thema selbst ist damit mitnichten erledigt: wie es dazu kam, „dass eine in ihrem Selbstverständnis emanzipatorische Bewegung sich in einer mörderischen Sackgasse verrennen konnte“. So jedenfalls formulierte es Ralf Fücks, Vorstand der (grünen) Heinrich-Böll-Stiftung und Leiter der Podiumsdiskussion am Dienstagabend unter dem Titel „Moderne in Deutschland – totalitäre Versuchung?“.

Es wurde dann eher ein Veteranentreffen, stammen doch sowohl die beiden Historiker Gerd Koenen (Jahrgang 1944) und Götz Aly (1947) aus der linksradikalen Ecke dessen, was heute 68er-Bewegung heißt und damals APO (Außerparlamentarische Opposition); und Grünen- Bundestagsabgeordneter Christian Ströbele war als Anwalt ohnehin eng mit den strafrechtlich relevanten Auswüchsen der selbsternannten Revolutionäre verbunden. Publizistin Katharina Rutschky, lange als Lehrerin tätig, stand demgegenüber für die demokratisch-emanzipatorische Mehrheit der Linken, hatte es aber im Verlauf des Abends schwer, sich gegen das Insiderwissen von Koenen und Aly zu behaupten. Sie fand das „superradikale Segment“ schlichtweg „überschätzt“.

Die beiden Historiker, längst geläutert und durch ihre Selbstreflexion damaliger Verirrungen zu übergreifenden Einsichten über den Charakter totalitärer Systeme gekommen, waren die Stars des Abends. Was sie in zwei Stunden an beeindruckenden Detailkenntnissen ausbreiteten – wobei es immer wieder zu subtilen Kleinkontroversen kam –, würde als Stoff eines ganzen Hauptseminars genügen.

Als Kernfrage heutiger Bewertung schälte sich das Verhältnis der sich selbst radikalisierenden RAF – hier das Synonym für alle terroristischen Gruppierungen der Siebzigerjahre – zur Politik heraus. Eine Frage, die auf den ersten Blick erstaunlich anmutet, gaben sich doch all diese „Zellen“ hochpolitisch. Doch weder der Bezug auf den Vietnam-Krieg – das beherrschende politische Thema der Jahre 1967–72 – noch der gerade heute für selbstverständlich genommene Bezug auf die Nazi-Vergangenheit der Elterngeneration der 68er lässt sich als letztendlicher Anstoß zur Lösung der „Gewaltfrage“ dingfest machen, die zur Scheidelinie der Linken wurde.

Beides wurde gleich zu Beginn von dem ansonsten blassen und den alten Denkmustern verhafteten Ströbele postuliert – und von Koenen später als „Deck-Legitimation seitens der Anwälte“ beiseite gewischt. Götz Aly, im noblen grauen Dreiteiler denkbar weit weg von damals, erklärte im Ergebnis intensiven Quellenstudiums, man würde „nirgends einen einzigen Artikel in einer linken Studentenzeitschrift von damals finden, der sich mit den Prozessen befasst“. Immerhin liefen seit 1964 die großen Strafprozesse zu Auschwitz und Majdanek, die Alys These untermauern, die Auseinandersetzung mit dem NS-Regime sei vor der Studentenbewegung stärker gewesen als in ihr selbst.

Die „Geschichte des Nazi-Regimes“ sei „eine Kränkung des eigenen Selbstbildes“ gewesen, es galt, „aus dieser Kontaminierung herauszutreten“, versuchte Koenen einen sozialpsychologischen Ansatz. „Ab einem bestimmten Punkt“ seien die RAF-Leute „in einen existenziellen Sog geraten“, und es begann „ein Kampf gegen das Weltverhängnis schlechthin“. Bald aber drehte sich der Kampf nur noch um sich selbst, um „Gefangenenbefreiung“, gegen „Vernichtungshaft“ – Koenen nennt es „leeren Existenzialismus“.

Merkwürdig nur, dass nicht ein einziges Mal die Ende 1966 geschlossene Große Koalition Erwähnung fand oder deren Notstandsgesetze von 1968, die doch bis weit ins liberale Lager hinein als Menetekel einer „Refaschisierung“ der Bundesrepublik galten. An dieser Nichterwähnung ließ sich erahnen, wie wenig die tatsächliche Politik in die selbstbezüglichen Wahnvorstellungen der „selbstherrlichen“ – so Rutschky – Untergrundkämpfer hineinreichte. 1968 versammelten sich im Bonner Hofgarten 60000 Demonstranten gegen die Notstandsgesetze. Hauptredner war der Namenspatron der gastgebenden Grünen-Stiftung: Heinrich Böll.

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