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Kultur: Kann denn Sünde Liebe sein?

Zwei Nonnen-Opern in der Philharmonie.

Die Idee ist schon ziemlich skurril: Ausgerechnet in Berlin, der Atheisten-Hauptstadt, zwei Opern halb szenisch aufzuführen, in denen die Titelheldinnen Nonnen sind. Sehr fern, geradezu exotisch muten hier die Geschichten von Giacomo Puccinis „Suor Angelica“ und Paul Hindemiths „Sancta Susanna“ an. Die eine wird von ihrer Familie zur Strafe für eine voreheliche Schwangerschaft ins Klostergefängnis gesteckt, die andere durchlebt in Gedanken den erotischen Akt als Braut Christi und will sich zur Buße anschließend von ihren Mitschwestern lebendig einmauern lassen. Grausige Exzesse katholischer Religionspraktiken aus dunklen Zeiten, die freilich unmittelbar entflammend wirken auf die Fantasie jedes Musikdramatikers.

Hans Graf ist der Dirigent, der am Sonntag in der Philharmonie mit dem Deutschen Symphonie-Orchester in Klausur geht. Ein gebürtiger Österreicher und gewiefter Operninterpret, der weiß, wie man musikalisch mit Licht und Schatten arbeitet. Zur echten Entdeckung wird Hindemiths 25-Minüter von 1921. Reinster Expressionismus, kühne, heißkalte Klangsprache, düstere Stimmung à la Edgar Allen Poe, scharfe szenische Schnitte wie im Film. Melanie Diener ist eine fesselnde Erscheinung als Susanna, maximal fokussiert in Mimik und Körpersprache: anschwellender Bußgesang einer furchtlos geführten Sopranstimme.

Zu Hindemith verhält sich Puccini wie das Aquarell zum Linolschnitt. So gerissen dosiert Hans Graf das süße Gift der Partitur, so subtil lässt er im naiven Parlando der Nonnen das betörende Bouquet des Orchesterparfums entstehen, dass dem Publikum der Atem stockt, wenn das Böse in die scheinbare Idylle einbricht, wenn die hartherzige Tante auftaucht und Schwester Angelica en passant den Tod ihres Kindes mitteilt. Lioba Braun ist eine principessa mit sündigem Dekolleté, eine dieser feinen, abgefeimten Damen, die Menschenleben vernichten können, ohne dafür laut zu werden. Mit einem Schluchzer aus tiefstem Herzen bricht Maria Luigia Borsi zusammen. Obwohl sie kurzfristig für Barbara Frittoli eingesprungen ist und darum als einzige Solistin mit dem Klavierauszug agiert, bewegt die junge Italienerin mit der flutenden Stimme die Hörerherzen unmittelbar. Weil ihr Barmen tief empfunden wirkt, ehrlich und ungekünstelt. Intensität verhindert Kitsch.

Nach den beiden Damen-Dramen ist man eigentlich musikalisch satt – doch Hans Graf gibt noch Skrjabins „Poème de l’extase“ zu, ein ideales Stück für den kristallinen Klang des DSO, das sich gerne von den an- und abschwellenden Energieströmen dieser lebensbejahenden Tondichtung elektrisieren lässt. Um 22.30 Uhr erdröhnt der Saal in gleißendem C-Dur. Hallelujah, darauf einen Klosterfrau Melissengeist! Frederik Hanssen

Am 25. August tritt Hans Graf mit dem DSO bei den Brandenburgischen Sommerkonzerten in der Cottbuser Oberkirche auf.

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