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Kapital und Krise: Warum Berlin eine Kunsthalle braucht.

Ein Plädoyer von Thomas Eller

Wieder einmal steht eine wichtige kulturpolitische Entscheidung in Berlin an. Deswegen sollte man aus Fehlern lernen. Im Jahr 1993 wurde die Staatliche Kunsthalle in der Budapester Straße aus unlösbaren personalpolitischen Gründen geschlossen. Im Jahr 1999 wurde die Berlinische Galerie in eine langjährige Diaspora geschickt. Obwohl es mit dem Postfuhramt anfänglich eine hervorragende Lösung für die Berlinische Galerie gegeben hätte, wurde das Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, auf eine lange Reise durch temporäre Orte geschickt, die dem Museum nachhaltig geschadet haben, bis es 2004 im ehemaligen Glaslager in Kreuzberg eine dauerhafte Bleibe finden konnte. Nun steht eine Entscheidung Berlins für eine neue dauerhafte Kunsthalle an. Nach der Begeisterung der letzten Jahre schien es für lange fast ein fait accompli, dass Berlin eine neue Wechselausstellungshalle bekommen würde. Man hat sich sehr getäuscht.

Die gegenwärtige Halbherzigkeit in der Diskussion über eine Berliner Kunsthalle erinnert fatal an alte kulturpolitischen Fehler: Kurzfristige Perspektiven überlagern wichtige langfristige kulturpolitische Strategien. Zwar spiegelt die gegenwärtige Diskussion einerseits sicher die Ernüchterung wieder, wie sie sich nach dem Ende der kollektiven Verliebtheit in die Kunsthallenidee wohl einstellen musste. Die negative Presse um die Temporäre Kunsthalle Berlin hat sicher einiges dazu beigetragen. Andererseits aber merkt man der Diskussion um eine permanente Kunsthalle dieselbe kulturpolitische Unschärfe an, wie sie schon in der Vorbereitung der Temporären Kunsthalle eklatant war. Was genau ihre Relevanz sei, diese Frage wurde mehrfach im Kulturausschuss gefragt – eine Antwort allerdings, eine kulturpolitische Idee, die alle überzeugt und begeistert hätte, steht bisher nicht im Raum.

Begeisterung für die Kunsthallenidee speist sich bis heute einzig aus einem Ereignis – der Ausstellung „36x27x10“ vom Dezember 2005 im Palast der Republik, die die Initiatorinnen der Temporären Kunsthalle Berlin mit tatkräftiger Unterstützung des Künstlers Thomas Scheibitz organisieren konnten. Diese Ausstellung war eine äußerst unwahrscheinliche Solidaritätsbekundung der bekanntesten Berliner Künstler mit der Berliner Kunstszene, ihrer Stadt und nicht zuletzt geschuldet dem Reiz, im Palast der Republik ausstellen zu können. Hätte diese Ausstellung nicht im Palast der Republik stattgefunden, hätte es jemals eine so lebhafte Diskussion um eine Kunsthalle gegeben? Hätte ein Museum es überhaupt unternommen, dieselben Künstler in einer Ausstellung zusammenzubringen? Vermutlich nicht, denn die Ausstellung entwickelte über eine Zusammenstellung hinaus keinen weiteren Anspruch. Sie war jedoch ein Kulminationspunkt in der Entwicklung des Stellenwerts zeitgenössischer bildender Kunst in Berlin.

Mit dieser Ausstellung auf dem Schlossplatz ist Kunst in die Mitte Berlins gerückt worden und der Berliner Öffentlichkeit wurde schlagartig klar, was die Kunstwelt schon längst wusste: Berlin ist „der“ Standort in Europa für zeitgenössische bildende Künstler. Dass das als kulturelles „Kapital“ angesehen werden kann, hat sich inzwischen herumgesprochen und ist der Kern der meisten gegenwärtigen Legitimierungsstrategien für eine permanente Kunsthalle. „Wir müssen den Berliner Künstlern Ausstellungsgelegenheiten geben“, heißt es immer – als ob Künstler aus Berlin wegziehen würden, wenn sie hier nicht ausgestellt würden. Fast klingt das auch ein wenig schuldbewusst gegenüber den Künstlern und Galerien, die sich bisher zu Recht als die eigentlichen Leistungsträger in diesem Bereich fühlen dürfen. Die Frage aber, ob es nicht auch andere Häuser in Berlin gäbe, die die Aufgabe der Präsentation Berliner Künstler schon übernehmen, wie die Berlinische Galerie, der Hamburger Bahnhof, der Martin-Gropius-Bau, oder die Kunst-Werke in der Auguststraße, ist mit einer Institutionsneugründung nicht beantwortet. Sollte man diesen Häusern nicht einfach mehr Budget geben, heißt es in der Szene. Aus dieser Perspektive ist die Frage nicht: Braucht Berlin eine Kunsthalle? Sondern: Wie gehen wir mit dem Bereich Bildende Kunst um und braucht es zur Zukunftssicherung der Kunst eine Kunsthalle?

Um die Frage nach dem Zweck eines neuen Hauses zu beantworten, muss man über den gewachsenen Stellenwert der Bildenden Kunst im gesellschaftlichen Kontext nachdenken. Der Erfolg dieses Sektors ist beispiellos. Kunst nimmt in einem bisher unbekannten Maße Raum in den Feuilletons und im öffentlichen Diskurs ein. In Berlin allein gibt es weit über 600 Galerien, man spricht von über 6000 Künstlern, die hier leben. Es gehört zur Unternehmenskultur auch mittelständischer Betriebe, sich im Bereich Kunst zu engagieren und auf einer persönlichen Ebene kann sich niemand zu Hause mehr mit einem Poster an der Wohnzimmerwand erwischen lassen. Nach der Musik und dem Sport ist Kunst ein gesellschaftlicher Bereich, der sich in eine veritable Kulturindustrie verwandelt. Diese Prozesse verlaufen, auch wie in der Musik und dem Sport, international. Das wiederum heißt, der Wettbewerb im Bereich bildende Kunst ist von vornherein weltweit, und so ist auch der Horizont Berliner Künstler und Galerien.

Wie viel inzwischen erreicht ist, mag man daran ermessen, dass selbst Opernfans erzählen, dass sie im Ausland nicht auf die drei Opern der Stadt angesprochen werden, sondern auf die bildenden Künstler, die in Berlin arbeiten. Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass wir in einer Zeit leben, in der nicht nur kulturelle, sondern auch gesellschaftliche, politische und ökonomische Kommunikation immer stärker über Bilder funktioniert. Insofern ist es nur folgerichtig, dass Museen die gesellschaftliche Rolle als Treffpunkt der Gesellschaft übernehmen. Auch im internationalen kulturellen Austausch übernimmt die bildende Kunst eine immer stärkere Rolle. Bilder kommunizieren jenseits aller Sprachbarrieren und kulturellen Traditionen. In keiner anderen Kunst wird so breit experimentiert wie in der Bildenden. Dadurch ist sie zeitgenössischer und internationaler als Theater und Literatur.

Es geht also nicht darum, die Kunstszene Berlins als zu pflegendes Soziotop zu betrachten, sondern als die beste Chance, die Berlin besitzt, um global zu agieren. Die Künstler wählen den Standort Berlin nicht, weil sie hier in einer Kunsthalle ausstellen können. Sie sind hier, weil die internationale Aufmerksamkeit auf Berlin liegt und sie hier in einem kulturellen Umfeld arbeiten können, das ihnen eine Form von Offenheit und Akzeptanz entgegenbringt, wie es weltweit einzigartig ist. Weltoffenheit ist eine der besten Qualitäten, die Deutschland hervorgebracht hat. Noch im Exil hat Thomas Mann darüber gesprochen, um den Verbrechen Nazideutschlands etwas entgegenhalten zu können. In Berlin ist das heute wieder gelebte Realität. Diese Offenheit spüren die Künstler und darum sind sie in Berlin.

Wenn man das nun vor dem Hintergrund der kulturellen und wirtschaftlichen Herausforderungen des nächsten Jahrzehnts betrachtet, sind es genau diese Qualitäten, die Berlin in einem globalen Wettbewerb Chancen eröffnen. Bildkompetenz zu entwickeln und kulturell dialogfähig zu sein sind Grundvoraussetzungen, um eine Position als Kultur- und Wirtschaftsmetropole des 21. Jahrhunderts zu entwickeln. Eine Kunsthalle, so verstanden, ist nicht eine Wechselausstellungshalle, die nach einem Konzept aus dem 19. Jahrhundert irgendwo zwischen Kunstverein und Museum verortet ist. Sie ist auch nicht Heimatpflege oder Klientelpolitik für ein kunstinteressiertes Establishment, sondern ein wichtiges kulturpolitisches Gestaltungsinstrument, um die kulturellen Herausforderungen des Dialogs mit einer sich radikal erweiternden Welt zu bestehen.

Dabei sollte der Blick von der bisherigen Westbindung der Kunstproduktion in Deutschland auf die in Zukunft noch wichtiger werdenden Schwellenländer gerichtet werden. Die Kulturpolitik muss auf einer institutionellen Ebene nachvollziehen, was die Berliner Künstler schon längst vorleben. Sie stellen zwischen Los Angeles und Peking überall aus. Berlin liegt so betrachtet, ziemlich genau in der Mitte. Das klingt nach Standortpolitik und ist auch so gemeint. Eine Kunsthalle ist eine „Investition“ in die Zukunft.

Der Autor ist Künstler und ehemaliger Geschäftsführer der Temporären Kunsthalle Berlin

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