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Kultur: Karel ist kein Gott!

Am Sonntag sind die Wähler aufgerufen, jene 99 deutsche Abgeordnete zu bestimmen, die nach der Sommerpause ins Europäische Parlament einziehen sollen. Sie sollen Politik machen.

Am Sonntag sind die Wähler aufgerufen, jene 99 deutsche Abgeordnete zu bestimmen, die nach der Sommerpause ins Europäische Parlament einziehen sollen. Sie sollen Politik machen. Doch haben sie tatsächlich die Kompetenz dazu? Können sie sich bei dieser Größe überhaupt auf klare Positionen einigen und diese dann auch gegenüber der regierenden Kommission durchsetzen? Werden sie von den mächtigen Kommissaren überhaupt ernstgenommen? Diese Fragen drängen sich auf, wenn man in den letzten Monaten das Tauziehen um die grenzüberschreitende Buchpreisbindung verfolgt hat.

Nachdem Wettbewerbskommissar Karel van Miert im Januar 1998 angekündigt hatte, feste Preise für deutsche Bücher in Österreich (bzw. für österreichische Bücher in Deutschland) verbieten zu wollen, da dies angeblich den freien Wettbewerb behindere, war ein Sturm der Empörung losgebrochen, denn viele sahen darin den Anfang vom Ende der Preisbindung überhaupt. Auf dem Umweg von verbilligten Re-Importen könnte so ein über Jahrzehnte gewachsenes und bewährtes System zerstört werden, das durch den Ausschluß der Preiskonkurrenz eine seltene Vielfalt von mittelständischen Verlagen und Buchhandlungen und damit einen ungewöhnlichen Reichtum an Titeln ermöglicht hat, die vorrangig über den Inhalt konkurrieren. Die Kulturminister nahezu aller EU-Länder sprachen sich daraufhin für die unbedingte Beibehaltung fester Ladenpreise bei Büchern aus. Kommissar van Miert kümmerte das wenig, er hält, obwohl seine Tage im Amt gezählt sind, unbeirrt an seinen Verbotsplänen fest. Nunmehr mobilisierten Buchhändler und Verleger in verschiedenen europäischen Ländern ihre Abgeordneten, die sich im Herbst letzten Jahres dann fraktionsübergreifend zu einer entsprechenden Initiative zusammenfanden. Nach langer Debatte brachten sie am 20. November eine Entschließung ins Parlament ein, die auch mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde. Darin heißt es: "Das Europäische Parlament fordert die Kommission auf, . . . in grenzüberschreitenden Sprachgebieten . . . einen Fortbestand der derzeitigen Buchpreisbindungssysteme zu ermöglichen." Von der Kommission wurde sogar ausdrücklich verlangt, "eine verbindliche Regelung (zu schaffen), die neben nationalen Buchpreisbindungen die Rechtmäßigkeit von bilateralen Abkommen über Buchpreisbindungen innerhalb einheitlicher Sprachräume . . . ermöglicht". Doch Karel van Miert interessierte das in keiner Weise. Er handelte genau entgegengesetzt und verlangte vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, dem bevorstehenden Totalverbot der grenzüberschreitenden Preisbindung schon mal durch Teilzugeständnisse entgegenzukommen.

Einzelne Parlamentarier schrieben daraufhin empört an den Kommissar, österreichische Kollegen reichten eine schriftliche Anfrage ein, doch niemand erhielt Antwort. Die Forderung nach einer öffentlichen Expertenanhörung und der Berücksichtigung kultureller Werte, die nicht leichtfertig einer nackten Wettbewerbspolitik geopfert werden dürfen, verhallten ungehört. Im Frühjahr dieses Jahres mußte nun die Europäische Kommission nach der Aufdeckung von Korruption und Fetternwirtschaft in den eigenen Reihen geschlossen zurücktreten. Bis zur Zeit nach den Wahlen und der Berufung einer neuen Kommission blieb die alte jedoch noch kommissarisch im Amt, das heißt, sie sollte die laufenden Geschäfte abwickeln, also notwendige Verwaltungsaufgaben erfüllen, nicht aber mehr politisch agieren, schon gar nicht Grundsatzentscheidungen treffen. Das sieht Wettbewerbskommissar van Miert wieder gänzlich anders. Gestern bekräftigte er seine Entschlossenheit, bis September die Buchpreisbindung endgültig zu verbieten. Mehr noch: offenbar will der Kommissar nicht nur die grenzüberschreitende, sondern auch die Buchpreisbindung innerhalb der jeweiligen Länder verbieten. Auch der gerade erst in Kraft getretene Amsterdamer Vertrag, der die Förderung der Vielfalt der Kulturen in Europa gebietet, scheint ihn dabei wenig zu stören. Nicht nur Kultur-Staatsminister Michael Naumann sieht darin eine Überschreitung der Kompetenzen des kommissarischen Herrn van Miert. Auch einige Europaabgeordnete laufen dagegen Sturm, fühlen sie sich doch geradezu mißachtet. Nicht nur, daß ihre Entschließung vom 20 . 11 . 1998 demonstrativ übergangen wurde, auch über den vom Parlament betriebenen Sturz der Kommission setzte sich van Miert kaltschnäuzig hinweg. Was aber zählt dann noch die Stimme der Abgeordneten? Der Europaparlamentarier Christof Tannert (SPD) hat jetzt noch einmal an den neugewählten Kommissionspräsidenten Romano Prodi geschrieben und ihn gebeten, seine Amtszeit nicht mit einer Brüskierung des Parlaments zu beginnen, sondern derart wichtige Entscheidungen wie eine Veränderung der über hundertjährigen Buchpreisbindung nochmals sachkundig zu erörtern und erst nach den Wahlen anzugehen. Soll der Urnengang am Sonntag überhaupt einen Sinn haben und nicht vorrangig der Abschiebung oder Versorgung von mißliebigen bzw. abgearbeiteten Politikern dienen, so muß wohl die Stellung der Abgeordneten in Straßburg insgesamt deutlich gestärkt werden. Es bedarf ganz offensichtlich einer Straffung dieses übergroßen und wenig effektiven Parlamentes. Die Parlamentarier müssen endlich zu wirklichen Kontrolleuren der europäischen Exekutive werden. Es darf in der neuen Legislaturperiode nicht wieder vorkommen, daß sich ein Kommissar wie Karel van Miert derart über den Willen der Abgeordneten hinwegsetzen kann.

Die noch amtierenden Parlamentarier sind daher in den verbleibenden Wochen in der Pflicht, eine kompetenzüberschreitende Tat des kommissarisch agierenden Wettbewerbshüters zu verhindern, und die neuen Abgeordneten stehen vor der Aufgabe, ihren Positionen künftig mehr Geltung zu verschaffen und endlich eine Reformierung des schwerfälligen Apparates in Angriff zu nehmen. Wer dazu nicht bereit ist, sollte am besten gar nicht erst gewählt werden. So, wie sich die Dinge entwickeln, könnte es bald um mehr gehen als nur die kulturelle Vielfalt auf dem Buchmarkt.

Christoph Links ist geschäftsführender Gesellschafter des Berliner Christoph Links Verlages

CHRISTOPH LINKS

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