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Kultur: Kaspar Hausers Geist

Weil er vergeblich liebte, wurde der Amerikaner Daniel Johnston zum traurigsten Sänger der Welt. Jetzt spielt der geniale Außenseiter in Berlin

Daniel Johnston hat viele Fans und Fürsprecher. Kurt Cobain, Gott hab ihn selig, trug 1992 bei einer MTV-Preisverleihung ein Daniel Johnston-T-Shirt, Sonic Youth coverten seine Lieder und David Bowie verriet kürzlich erst dem „Spiegel“, wie sehr er den Mainstream hasse und wie sehr ihm Daniel Johnston bewusst mache, was er an der Kunst ursprünglich einmal geliebt habe.

Daniel Johnston wurde 1961 in Sacramento, Kalifornien als sechstes Kind in eine christlich-fundamentalistische Familie hineingeboren, er besuchte die Kunsthochschule und wollte Cartoonist werden. Die Liebe zu den Beatles prägte ihn früh, schon als Kind sang er ihre Lieder zum Rasenmäher, er lebte mit Beatles-Songs, studierte und imitierte sie, bis er durch sie zu seinem eigenen unverwechselbaren Stil fand.

Als 17-Jähriger begann er seine Lieder mit einem billigen Kassettenrecorder in der elterlichen Garage allein oder mit Freunden, immer aber in denkbar schlechtester Tonqualität aufzunehmen. Im Hintergrund der wackligen Aufnahmen hört man die Erkennungsmelodien von Fernsehshows, die Ermahnungen der Mutter, mal fröhlichere Lieder zu singen , manchmal knallen Türen, platzen Besucher in die Aufnahmen.

All seine Songs sind, wie seine Zeichnungen, ab einem gewissen Punkt von dem fortwährenden Kampf mit den manischen Depressionen geprägt, die sein Schicksal sind und seine Krankheit. Viele Geschichten erzählt man sich über ihn: Unter Einwirkung von halluzinogenen Drogen habe er eine Frau aus dem Fenster gestürzt, im Anfall von Paranoia seinen Manager bedroht, den Vater, einen Freizeitpiloten, während eines Fluges zur Notlandung gezwungen, weil er plötzlich Satan in ihm sah.

Eine andere Legende besagt, Johnstons schier unerschöpfliche Kreativität sei im Jahre 1979 – er arbeitete vorübergehend bei McDonalds – durch die Bekanntschaft mit einer jungen Frau namens Laurie ausgelöst worden. Laurie sei aber schon mit einem Bestattungsunternehmer verlobt gewesen, ein Unglück, das Johnston zu etwa 50 Liebesliedern, darunter dem Klassiker „Funeral Home“, inspiriert haben soll. Wer wollte es bezweifeln?

1984 zog er dann nach Austin, Texas, und fand so etwas wie eine musikalische Heimat in der Musikstadt mit ihren 300 Bands und vielen Plattenläden. Einer dieser Läden vertrieb seine Tapes, und als 1985 ein Kamerateam von MTV die Stadt bereiste, um über die örtliche Musikszene zu berichten, wurde auch Daniel Johnston interviewt. Plötzlich war er ein Geheimtipp des amerikanischen Underground. Schwere psychische Krisen vereitelten aber immer wieder den Fortgang seiner Karriere. Als er zum zweiten Mal bei MTV auftauchte, lag er unter schweren Medikamenten in einer Nervenheilanstalt.

Heute umfasst sein Werk an die 300 Songs: herzzerreißende Geschichten von unerwiderter Liebe, kosmischen Missgeschicken, existentiellen Qualen und der nie versiegenden Hoffnung, eines Tages doch einmal zu lieben und geliebt zu werden. Aber auch Oden an King Kong, die Vertonung von Comicschlagzeilen („Frankenstein conquers the world“) und Filmtiteln („Caspar The Friendly Ghost“) finden sich darunter.

Auf seiner neuesten Platte „Rejected Unkown“ (Pickled Eg), mit einer Band im richtigen Studio aufgenommen, behandelt die Hälfte aller Songs wieder die unerfüllte Liebe zu Laurie. Es hat sich so wenig geändert in diesem Leben. Mit 41 Jahren wohnt Johnston noch immer bei seinen Eltern in einem Haus bei Austin und komponiert neue Songs wie ehedem in der Garage.

Daniel Johnston wird gerne als Anti-Held beschrieben, vielleicht weil er aussieht wie ein verwahrloster Truckdriver. Manche sehen eine tragikkomische Figur in ihm, einen fastfood-deformierten, Coca-Cola-süchtigen Ritter von der traurigen Gestalt. Komisch oder zum Lachen ist aber nichts an ihm. Er ist dick, unansehnlich, manisch depressiv, also ganz und gar nicht der schicke Indie- Loser der in den Lo-Fi Zeiten um 1992 so hoch im Kurs stand: der Verlierer, der trotz momentaner Erfolgslosigkeit irgendwie sexy Rebellion ausstrahlt. Daniel Johnston ist auch kein Verweigerer, er wäre wohl selbst gerne noch berühmter und beliebter, mehr Geld wäre auch für die Familie ein Segen. Müssen doch immer wieder große Summen für Johnstons Krankenhausaufenthalte und Medikamente aufgebracht werden, denn das amerikanische Sozialsystem macht auch für besonders geniale Kranke keine Ausnahme.

So ist er ein Geheimtipp geblieben. Die Zusammenarbeit mit einer großen Plattenfirma währte nicht lange. Uneins war man sich nicht nur über die Produktionsweise. Der kranke Mensch, der hinter dem Songwriter mit Kultstatus steht, bietet eben denkbar wenig Planungssicherheit.

„Sorry Entertainer“ heißt eines seiner Lieder, und so sieht er sich auch. Trotzdem reisten bei seinem ersten Auftritt in Deutschland, 1999 in der Berliner Volksbühne, Fans aus ganz Europa an. Was seine Darbietungen so anrührend macht, ist nicht nur seine jungenhafte Befangenheit, das schutzbedürftige Zittern in der Stimme, seine Verwundbarkeit und Reinheit des Herzens. Es sind die Songs: Sie entfalten ergreifende Wahrheiten, vorgetragen mit dem Zögern eines kettenrauchenden kleinen Jungen.

Aber neben aller Unschuld gibt es auch den sarkastischen Humor Johnstons, seine vorauseilenden Selbst-Herabsetzungen, das gekonnte Spiel mit Song-Standards und Zitaten, sein Sprachwitz. Wenn geklagt wird in Johnstons Liedern, dann ohne zu jammern, dafür aber mit vielen Uuhs und Oohs, beatlesken Melodieschnörkeln zum Zwecke der humorvoll distanzierten Selbstbespiegelung.

Johnstons Kunst ist es, einfach statt einfältig, anrührend statt kitschig, naiv statt sentimental zu sein. Bei keinem anderen Songwriter liegen Qualität und Purismus so nahe beisammen. Und seine Botschaft ist so stark, dass sie auch intakt bleibt, wenn die Stimme in hohen Tonlagen bricht, wenn unvorhergesehene Pausen eintreten.

Aber nicht das „herrlich Schräge“, das Unperfekte, macht die Qualität aus, sondern dessen Brüchigkeit, die zum Text, zum Sänger, zur Welt passt. Weil ein drastisch wahres Lied nicht mehr als ein paar entschlossene Gitarrengriffe oder gehämmerte Klavierakkorde braucht: ein D, ein E, ein A, eine Pause – „It hurts to be alone.“

Kurt Cobain hat sich das Leben genommen, von Lo-Fi redet kein Mensch mehr und die Musikindustrie steckt in der Krise. Daniel Johnston macht glücklicherweise immer weiter. „I promise next time I do a better show“, sagte er 1999 dem Berliner Publikum zum Abschied, und die erschütterten, glücklichen Konzertbesucher, von denen viele glaubten auf dem schönsten Konzert ihres Lebens gewesen zu sein, schüttelten den Kopf ob so viel Bescheidenheit und dachten: Wie soll das gehen?

Daniel Johnston spielt am Mittwoch in der Berliner Passionskirche, 20 Uhr.

Christiane Rösinger

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