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Kultur: Kasperle kämpft

Schleunigst entschleunigt: „In 80 Tagen um die Welt“ – mit Jackie Chan

Der Unterschied zwischen einem Reisenden und einem Touristen, hat Paul Bowles geschrieben, besteht darin, dass ein Tourist den Zeitpunkt seiner Rückkehr kennt. Demnach ist Phileas Fogg, der kauzige Erfinder und britische Gentleman, der seinen Diener Passepartout einer Wette wegen einmal um die Welt hetzt, der größte Tourist von allen. Er unternimmt seine Reise nur zu dem Zweck, zur richtigen Zeit wieder da zu sein.

Dass Fogg dafür beinahe drei Monate braucht, galt lange als das futuristische Hirngespinst eines französischen Romanciers. Heute gibt es mit der Jules-Verne- Trophy sogar einen Pokal, der nach diesem Fantasten benannt ist und die schnellste Weltumsegelung krönt. Der Rekord liegt bei 64 Tagen. Schneller ist man mit dem Flugzeug: Damit dauert eine Weltumrundung weniger als 80 Stunden. Und Satelliten brauchen sogar nur 90 Minuten. Da zeugt ein Hollywood-Remake des Jules-Verne-Klassikers „In 80 Tagen um die Welt“ von enormer Entschleunigung. Die Welt wird abgebremst in diesem historisch kostümierten Actionabenteuer, allerdings nur, um mit Jackie Chan in der Rolle des Passepartout zur umso rasanteren Martial-Arts- Komödie durchzustarten.

Da wird gefochten, geklettert und die Schwerkraft ausgetrickst, dass es nur so kracht. Jackie Chan ist ein Meister der Bewegungskomik. Seine artistischen Kampfeinlagen, in denen ihm Stühle, Regenschirme und Obstkörbe als Waffen dienen, parodieren das Kung-Fu-Genre so stark, dass es am Ende fast wie eine französische Fantasy-Erfindung wirkt.

Nach drei Verfilmungen des Abenteuerstoffs – 1956 mit David Niven und 1989 mit Pierce Brosnan in der Hauptrolle – ist aus der Figur des edel-verschrobenen Aufklärers Fogg nicht mehr viel herauszuholen. Steve Coogan spielt ihn unter der Regie von Frank Coraci denn auch als gespreizte Varieté-Karikatur eines Technikfreaks, mit dauerzuckenden Gesichtszügen. Auch Jackie Chan ist ein Kasper, durch den der Diener nun zur Hauptperson wird. Schon zu Beginn stürzt Chan eindrucksvoll aus einem oberen Stockwerk der Bank of England, die er um einen Jade-Buddha erleichtert hat. Danach taucht er bei Fogg unter, der ihn in einem seiner Geschwindigkeitsexperimente zu verschleißen trachtet. Das missglückt spektakulär – und Fogg scheint endlich einen Diener gefunden zu haben, der seine Visionen aushält.

Der Räuber und das verkannte Genie. Als Duo Infernal hasten Passepartout und Fogg, alsbald ergänzt um die entzückende Möchtegernkünstlerin Monique La Roche (Cécile de France), durch die Kulissen einer exzentrischen Märchenwelt. Berlin kommt dabei – zwar nicht als Schauplatz, aber als Drehort – zu besonderen Ehren. Ist doch die britische Akademie der Wissenschaften, um derentwillen die 80-Tage-Wette gilt, das Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Und Paris ersteht neu in Form eines Gullydeckels, durch den Fogg & Co plötzlich im Charlottenburger Schlosspark auftauchen. Tatsächlich sieht die Welt, die aus lauter exotischen Plätzen besteht, bald so aus, als sei sie überhaupt nur für 80 Tage erschaffen. Gastauftritte von Arnold Schwarzenegger als liebestollem Sultan (mit grauenhafter Sphinx-Perücke), Kathy Bates als Königin Victoria (sehr füllig, sehr streng), Komiker John Cleese und Rob Schneider tun der Echtheit auch nicht eben gut.

Aber schwerer wiegt: Der Film hat eine lange erste und keine zweite Hälfte. Denn von London aus betrachtet ist China nur eine Erdhalbkugel weit entfernt. Und dort ist für Passepartout die Reise praktisch zu Ende, nachdem er den Schutzbuddha zurückgebracht und seine Widersacher entmachtet hat. Die Reise um die andere Erdhälfte verkommt zur lästigen Pflichtübung. Und wir erinnern uns mit Wehmut, wie ergreifend David Niven einst durch den Londoner Nebel schlich – in der festen Überzeugung, die Wette verloren zu haben. Für derlei Sentimentalitäten ist diesmal kein Platz. Und überhaupt: Dafür, dass Phileas Foggs scheppernde Flugmaschinenankunft unbemerkt bleiben könnte, stehen einfach zu viele Menschen herum. Aber so ist das mit den Touristen: Sie wollen immer genau da hin, wo alle anderen auch schon sind. Und zwar schleunigst.

In 20 Berliner Kinozentren; Originalfassung im Cinestar SonyCenter

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