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Kultur: Katastrophen-Skater

Lärm.Schmerz.

Lärm.Schmerz.Geschwindigkeit.Eine scharf geschnittene Diagonale teilt das "Porträt" von Wolfgang Petrick, auf dem links Rollerskates bildfüllend auf einen zurasen, während sich rechts die Anatomie eines Schädels aus dem Schnitt hervorschiebt.Die Skater scheinen mitten durch den Kopfschmerz des Mannes zu sausen.

Petrick malt das raumgreifende Schuhwerk von Jugendlichen mit der gleichen Akribie wie Waffen, Gasmasken und Flugzeugschrott.Selbst den Pferden der Quadriga schnallt er kleine Räder unter.Noch immer geht es dem heute Sechzigjährigen, der seit 1975 als Professor an der Hochschule der Künste lehrt, um das Aufspüren von Deformationen, wo Materialismus den Menschen sich selbst entfremdet.Doch in den Bildern, die in den letzten Jahren in Berlin und New York entstanden, wird aus dem, was Ende der sechziger Jahre Teil eines politischen Protestes war, fast eine Denunziation von Jugendkult und Widerstand.Seine Monster und Mutanten, die aufgebrochen waren, vor technischen Allmachtsphantasien und genetischen Manipulationen zu warnen, tragen heute Punk-Frisuren.

Der Maler, der vor über dreißig Jahren mit Peter Sorge, Hans-Jürgen Diehl und Klaus Vogelgesang den kritischen Realismus als kulturellen Markenartikel der Mauerstadt mitbegründete, ist einer agressiven und agitatorischen Bildsprache treu geblieben.Sein Material kommt noch immer aus der Tagesaktualität; seinen Bezug zur Wirklichkeit sucht er durch Montage, Schichtung und Zuspitzung des zitierten Materials zu sichern.Doch je mehr Petricks Bilder den Schrecken akkumulieren, umso weniger unterscheidet sich seine visuelle Sprache etwa vom permanenten Krieg der Videospiele.Am Anfang klagten die kritischen Realisten Defizite der Öffentlichkeit ein und trugen mit ihren Bildern zur Diskussion des politisch Verdrängten bei.Doch den Veränderungen, die ein expandierender Nachrichtenmarkt in der Wahrnehmung angerichtet hat, stellt sich diese Malerei kaum.

Wie eine Fahne tragen Petricks Bilder im Haus am Lützowplatz den Anspruch vor sich her, sexuelle und technologische Gewalt anzuprangern.Eine bodygebildete Venus führt den Trend zum plastischen Basteln am eigenen Fleisch und Fett als fremdbestimmte Zurichtung vor.Kaum besser ergeht es Dürers Melancholica, vergewaltigt von einer Art Fernsehturm.Die Bilder hauen ihr Beharren auf Inhaltlichkeit dem Betrachter so vehement um die Ohren, daß man eines glatt übersehen könnte: Die Lust, mit der Petrick unermüdlich die Leinwände angeht.Oft bis zu drei Meter hoch, Kante an Kante gehängt, bilden sie ein nie abzuschließendes Panorama der Katastrophen, die der Maler schnell wie ein Skater durchmißt.

Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, bis 14.Februar; Dienstag bis Sonntag 11-18 Uhr, Katalog 15 DM.

KATRIN BETTINA MÜLLER

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