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Kultur: Katastrophenschutz: Zum Selbstschutz

Das Zugunglück von Eschede, ein Chemieunfall bei Bayer und das Hochwasser an der Oder gehörten für die Katastrophenschützer in Deutschland bisher zu den denkbar schlimmsten Szenarien. Doch seit den Terroranschlägen vom 11.

Das Zugunglück von Eschede, ein Chemieunfall bei Bayer und das Hochwasser an der Oder gehörten für die Katastrophenschützer in Deutschland bisher zu den denkbar schlimmsten Szenarien. Doch seit den Terroranschlägen vom 11. September und dem Auftauchen von Milzbranderregern in den USA hat sich die Liste der für möglich gehaltenen Bedrohungen erheblich erweitert - Szenarien, auf die sich die Katastrophenschützer bisher kaum eingestellt haben. "Auf einen flächendeckenden Angriff auf große Teile Nordrhein-Westfalens sind wir im Moment nicht vorbereitet", heißt es im Düsseldorfer Innenministerium. Bundesinnenminister Otto Schily will nun aufgrund der veränderten Gefahrenlage die Strukturen des Katastrophen- und Zivilschutzes in Deutschland grundlegend überprüfen.

Zum Thema Foto-Tour: Weltweite Angst vor Milzbrand Online Spezial: Bio-Terrorismus Trittbrettfahrer: Empfindliche Strafen Gerade in diesem Bereich sind die Kompetenzen kompliziert verteilt. Laut Gesetz ist der Katastrophenschutz Ländersache, der Bund hingegen ist für den Zivilschutz zuständig, für den Schutz der Bevölkerung im Verteidigungsfall. Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Fall der Mauer verlor der Zivilschutz an Bedeutung, die finanziellen Mittel des Bundes wurden immer weiter zurückgefahren. "An eine wirkliche Katastrophe hat keiner mehr geglaubt", sagt Arthur Scharmann, der Vorsitzende der Kommission zum Schutz der Zivilbevölkerung (Schutzkommission), einer Gruppe von Wissenschaftlern, die das Bundesinnenministerium berät. Im Zuge der Einsparungen wurde Ende 1999 schließlich das Bundesamt für Zivilschutz aufgelöst. Dessen Aufgaben übernimmt seit diesem Jahr die Zentralstelle für Zivilschutz beim Bundesverwaltungsamt. Für Scharmann ist das nur eine unzureichende Lösung. "Hier darf nicht gespart werden."

Warnungen blieben ungehört

Der Physikprofessor hat an diesem Wochenende den neuen Gefahrenbericht der Schutzkommission an Schily geschickt. Darin weisen die Wissenschaftler auch auf die Gefahren durch biologische und chemische Kampfstoffe hin. Die Kommission fordert nach Scharmanns Angaben unter anderem eine verbesserte medizinische Versorgung, ein flächendeckendes System zur Warnung der Bevölkerung und die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung. Schon vor fünf Jahren hat die Schutzkommission einen ersten Gefahrenbericht vorgelegt - doch viele der Forderungen wurden nicht umgesetzt: "Für den Bericht sind wir sehr gelobt worden, aber passiert ist nicht so viel", sagt Scharmann.

Das Innenministerium will aus dem Anti-Terror-Paket weitere Mittel für den Zivilschutz zur Verfügung stellen. Als erste Maßnahmen hat Schily ein Frühwarnsystem präsentiert und den Ländern neue ABC-Erkundungsfahrzeuge zur Verfügung gestellt (siehe Kasten). Doch für viele Experten ist das kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie fordern eine stärkere Koordination im Zivil- und Katastrophenschutz und stellen auch die Unterscheidung in die beiden Bereiche in Frage. "Nach der klassischen Definition würde der Terrorismus weder unter das eine noch unter das andere fallen", gibt Norbert Schmidt zu bedenken, Referatsleiter Katastrophenschutz in der Berliner Senatsverwaltung für Inneres.

Schwerfällige Strukturen

Vielfach seien die Strukturen zu schwerfällig und zu wenig vernetzt, so dass im Ernstfall wertvolle Zeit verloren gehe, kritisiert Dirk Reichert, beim Deutschen Roten Kreuz zuständig für den Zivil- und Katastrophenschutz. Zudem hat jedes Land seine eigenen Regelungen. In Nordrhein-Westfalen liegt die Verantwortung für den Katastrophenschutz bei den Kommunen. In Berlin gibt es auch eine zentrale Einsatzleitung, die in der Senatsverwaltung für Inneres angesiedelt ist. Sie soll dann aktiv werden, wenn eine Katastrophe eintritt, die örtliche Einsatzleiter nicht mehr bewältigen können. Die Gefahrenabwehrplanung der Länder und Landkreise müsse überarbeitet und besser koordiniert werden, fordert Reichert.

Derzeit wird unter Federführung der Zentralstelle ein neues Konzept für den Zivilschutz erarbeitet, das offenbar auch eine abgestimmte Notfallplanung zwischen Ländern und Bund vorsehen soll. Doch die Forderungen der Experten gehen noch weiter: Eine nationale Notstandszentrale müsse her. Im Ernstfall müssten Fachleute dort innerhalb kürzester Zeit Entscheidungen treffen, fordert Reichert. Dies jedoch könne eine Behörde wie die Zentralstelle für Zivilschutz derzeit nicht leisten.

Bisher gibt es kaum Antworten auf die neuen Bedrohungsszenarien. Gerade im Bereich der biologischen und chemischen Waffen sehen die Experten noch viel Nachholbedarf. Schutzausrüstungen sind vielfach veraltet und damit unbrauchbar, denn auch dieser Bereich war von den Einsparungen betroffen. Im Ernstfall sei eine Dekontamination der Helfer zu befürchten, sagt Reichert. Zudem müssten die Helfer besser ausgebildet werden: "Wir sind derzeit überhaupt nicht fähig, großflächige chemische und biologische Angriffe zu erkennen und zu bewältigen."

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