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Kultur: Katja hatte unrecht

"Abschied ist ein bißchen wie Sterben", sang Katja Ebstein zu einer Zeit, als der Schlager noch große Worte wagen und die Ohren und Herzen erreichen durfte, ohne parodiert zu werden.Tim Staffel nun, einer der notorischen Berufsjugendlichen der Literaturszene, war bei den Werkstattlesungen zum Alfred-Döblin-Preis angetreten, um die Erkenntnis der Sängerin ausdrücklich zu widerlegen.

"Abschied ist ein bißchen wie Sterben", sang Katja Ebstein zu einer Zeit, als der Schlager noch große Worte wagen und die Ohren und Herzen erreichen durfte, ohne parodiert zu werden.Tim Staffel nun, einer der notorischen Berufsjugendlichen der Literaturszene, war bei den Werkstattlesungen zum Alfred-Döblin-Preis angetreten, um die Erkenntnis der Sängerin ausdrücklich zu widerlegen.Passend zum sportlichen Gestus seines Romanauszugs "Benzin" war er im Trainingsanzug erschienen.Was er vortrug, rechtfertigte diese Gewandung durchaus.Rhythmus und Drive der Ausreißergeschichte eines jungen Epileptikers und seines Freundes Tizian, die hochtourig beginnt und in der völlig unvirtuellen Wirklichkeit einer alpinen Jausenstation endet, hätten Speedy Gonzales alle Ehre gemacht.Ein eher träger Nachmittag im Literarischen Colloquium war mit quietschenden Reifen unterbrochen worden.Aber nur kurz, bis Kerstin Hensel, die als letzte von sieben eingeladenen Autoren las, mit einer ebenso konventionellen wie verwunschenen Geschichte von der unwissentlichen Verführung, Empfängnis und Mutterschaft eines 15jährigen Lehrmädchens für Konsumlagertechnik die sirupsatte und zellstoffgedämpfte Atmosphäre der DDR anno 1950 wiederherstellte: "Frieden war und wunderbar zu leben."

Die diesjährige Jury des Alfred-Döblin-Preises, bestehend aus der Autorin Elfriede Czurda, der Kritikerin Manuela Reichardt und dem Lyriker und Literaturwissenschaftler Harald Hartung, geriet in ziemliche Erklärungsnöte, denn gerade von Kerstin Hensel war man - zuletzt im Prosaband "Neunerlei" - Originelleres gewohnt.Auch Ulrike Draesner wartete mit einem "Körpertext" auf, einem Auszug aus dem Roman "Lück", der so heikle Sujets wie Magersucht sprachlich aufzufangen sucht: Je dünner die Protagonistin wird, desto knapper fallen die Sätze aus.Man darf gespannt und vielleicht etwas skeptisch sein, wie es Ulrike Draesner gelingen wird, den verstörend intensiven inneren Monolog, aus dem sie vorlas, in eine zusammenhängende Handlung zurückzuführen.

Der Preisstifter Günter Grass, all die Jahre zuvor pfeiferauchend und gütig räsonierend zugegen, war kurzfristig erkrankt und mußte absagen.Mangels Zinseinnahmen konnte der übliche Förderpreis nicht vergeben werden.So stand Norbert Gstrein, auf den die Wahl für den Hauptpreis gefallen war, allein mit seinem Scheck über 20 000 Mark auf der Bühne der Akademie der Künste.Der 38jährige Österreicher, der mit der Ballonfahrer-Novelle "O2" die außenseiterfeindliche Enge Tirols verlassen hatte, las aus dem Manuskript "Die englischen Jahre".Darin gerät der österreichische Jude Gabriel Hirschfelder im Londoner Exil unmittelbar nach Hitlers Kriegserklärung an Großbritannien in ein Internierungslager."Eingezwängt zwischen Schlafen und Wachen" prasselt ein Neuronengewitter von Erinnerungssätzen auf ihn nieder.Aus verschiedenen Erzählerstimmen entsteht die hochkomplexe Fama einer Lebensgeschichte.Elfriede Czurda betonte in ihrer Laudatio, daß der Mathematiker Gstrein die "höchst artifizielle Spracharmut der frühen Texte" wie "Einer" (1988) in Form von Skrupeln gegenüber jeder Ornamentik beibehalten habe.

Abschied, Aufbruch, Ankunft: Auf diesen kleinsten thematischen Nenner ließen sich einige der stilistisch ausgesprochen vielfältigen Texte bringen, die beim zwölften Alfred-Döblin-Preis aus gut 400 unveröffentlichten Manuskripten in die engere Auswahl gekommen waren.Die Jury spricht Ermutigungen aus und lädt ihre Favoriten zur Lesung ein: Neben den Genannten waren es Georg Klein, Michael Kumpfmüller, Martin Städeli und Norbert Zähringer.Letztere drei stehen noch vor ihrem Debüt, was die Erwartungen der Zuhörer beachtlich steigerte und in zwei Fällen durchaus rechtfertigte.Der Zürcher Martin Städeli erwies sich als wackerer Traditionalist.Er verstand es, die erzählerische Aura von Jeremias Gotthelf oder von Conrad Ferdinand Meyers Novelle "Die Hochzeit des Mönchs" heraufzubeschwören.

Von dem bankrotten Bettenfabrikanten Heinrich und dessen Aufbruch gen Osten über die Zonengrenze im Jahre 1962, berichtet Martin Kumpfmüller.Dieser Heinrich, für den es ein Vorbild geben soll, ist ein Taugenichts, der sich durch die deutsch-deutsche Wirklichkeit träumt und liebt."Er war ganz arglos" heißt es programmatisch über den Helden, was ihn sowohl für den Kapitalismus als auch für den Arbeiter- und Bauernstaat disqualifiziert.Leider ignoriert Kumpfmüller bei der indirekten Rede den Konjunktiv.Senseible Leser dürfte das verstimmen.

Georg Klein steuerte eine maliziöse Episode zum Thema Ankunft bei.Sein Debütroman "Libidissi" war zur erfreulichsten literarischen Überraschung des vergangenen Herbstes geraten.Der Horrorroman "Kyffra" spielt in einem Hochhaus, das so alt wie die Bundesrepublik ist.Fünf kleinlaute Mitglieder eines Teams warten in Plastiksesseln auf ihren Vorgesetzten.Er wird als "schöner alter Herr", als Charismatiker in Taubenblau angekündigt.Doch irgend etwas stimmt nicht.Der Autor ordnet mit der ihm eigenen geschmeidigen, bis zur Karikatur genauen Sprache gezielt Warnzeichen an, winzige verstörende Signale, die Spannung garantieren.Aus diesem Wirtschaftswunder-Verschnitt wird es kein gutes Erwachen geben, man ahnt es.Harald Hartung hörte bei der "Kunst- und Autoritätsfigur" des Chefs Anklänge an Alfred Döblins Novelle "Die Ermordung einer Butterblume" heraus, an die dämonische Heimsuchung des Herrn Fischer.Der Gedanke läßt sich fortführen: Auch Georg Klein wäre ein würdiger Döblin-Preisträger gewesen.

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