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Kaukasus: „Wo soll bloß das Glas herkommen?“

Telefongespräche mit Südossetien: über das Weiterleben mit dem Krieg nach dem Krieg

Der Regisseur Peter Krüger arbeitete 2004/05 an Theatern in Tschetschenien und Inguschetien, seitdem kennt er das Theaterensemble von Zchinwali, der Hauptstadt Südossetiens. Seit dem georgischen Angriff telefoniert er täglich mit dem Intendanten und Kulturminister Tamerlan Dzudzow und versucht, mit ihm Gastspiele in Deutschland auf die Beine zu stellen (Tsp. vom 14., 17., 19. und 22. August). Hiermit endet unsere Serie der Telefon-Tagebücher; über die geplanten Gastspiele und das Schicksal des Ensembles werden wir weiter berichten. (d. Red.)

Donnerstag, 21. August

Anruf um 22.10 Uhr unserer Zeit. Tamerlan ist aufgewühlt vor Freude, nach dem Konzert des Marinski Theaters mit Dirigent Waleri Gergijew in Zchinwali, das gerade zu Ende ging (Tsp. vom 25. 8.) Erst am Mittag hatte die Nachricht die Runde gemacht. „Wir starteten die Mund-zuMund-Propaganda und der Platz war überfüllt.“ Tamerlan sagt, dass er nicht schon wieder in die Finsternis zurück will. Ich erzähle ihm von den Fortschritten bei der Organisation der „Julius-Caesar“Gastspiele des Dramatischen Theaters Zchinwali in Deutschland. „Wir steuern auf Vorstellungen in Berlin, Potsdam, Senftenberg und Hannover zu.“ Die Antwort von offizieller Seite fällt allerdings hinhaltend aus. Die Lage soll sich erstmal beruhigen. Man kennt solche Reaktionen, entmutigen lassen wir uns davon nicht. Tamerlan will Schluss machen für heute. Er will das unverhoffte gute Gefühl festhalten.

Freitag, 22. August

Tamerlan meldet sich um 19 Uhr. Ich bin inzwischen bestürzt darüber, dass er mich erst nachträglich über das Konzert informiert hat. Ein komplettes Konzert kann doch unmöglich am gleichen Tag organisiert worden sein. „Die Diskretion war eine Verabredung mit dem Dirigenten, den Musikern und den russischen Sendern, die das Konzert ausstrahlten. Wir wollten nicht mit Vorwürfen wie ,sentimentale Propagandashow’ oder ,emotionale Aufrüstung’ konfrontiert sein. Schostakowitsch vor Ruinen, darauf hättet Ihr womöglich skeptisch reagiert.“ Tamerlan hat mir für das Theatergastspiel die Namensliste, die Inszenierungsgeschichte und Presseberichte gefaxt. Wir sprechen über die Fahrtroute. Sein Vorgesetzter scheint grünes Licht gegeben zu haben.

Samstag, 23. August

Wie sieht es mittlerweile aus in Zchinwali? Tamerlan: „Busse fahren wieder, einige Kindergärten arbeiten, auch Schulen. Die Bauern fahren die überreife Ernte ein. Streuminen sind eine große Gefahr, auch für das Weidevieh. Die Versorgung funktioniert halbwegs, eine Großbäckerei produziert. Strom und Gas gibt es nur zeitweise, dank russischer Hilfe ist die Seuchengefahr halbwegs gebannt.“ Schwierig sei die Verglasung der kaputten Fenster, rechtzeitig vor Beginn der Regenzeit. „Wo soll bloß das ganze Glas herkommen?“ Tamerlan beklagt sich über die Lethargie der Leute und erzählt, wie rund 30 junge Männer tatenlos zuschauten, als Jugendliche aus der Region Wolgograd einen LKW mit humanitären Gütern abluden. „Viele meinen wohl, es hat sowieso keinen Zweck, der Krieg wird irgendwann weitergehen. Wir haben eine hohe Arbeitslosigkeit. Die Jungen sind das Arbeiten nicht mehr gewöhnt. Sie sitzen herum und lassen sich von ihren Müttern ernähren.“

Wir gleichen die Darstellerliste für das „Julius Cäsar“-Gastspiel ab. In Tamerlans Fassung agieren nur Männer. Ich schlage vor, vier Schauspielerinnen dazuzunehmen und zusätzlich ein Lermontow-Programm zu inszenieren, mit Liedern und Gedichten über die Historie der Osseten. Tamerlan ist perplex: „Du möchtest ein Programm über unsere Geschichte?“ – „Ja, wir wissen so wenig. Wer bei uns hat vor dem georgischen Angriff schon von Zchinwali gehört?“ Beim Konzert vor zwei Tagen, erzählt Tamerlan, sagte Waleri Gergijew, er fühle sich schuldig, weil sie alle nicht genug für den Frieden im Kaukasus getan hätten. „Wir Osseten fühlten uns immer näher an Russland als je an Georgien. Unser kleines Volk lebt an der Nahtstelle zweier Weltsysteme, das haben wir zu wenig bedacht.“

Sonntag, 24. August

In den Medien heißt es, dass nach Angaben der südossetischen Behörden unbekannte Gruppen in das Leningorskogo- Znauskogo-Gebiet eingedrungen seien und mit Terroranschlägen gedroht hätten. Sie sprengten zwei öffentliche Gebäude in die Luft und verschwanden wieder. Ich will wissen, was das für Gruppen sind. Tamerlan: „Sie sind maskiert, in Khaki-Montur, ohne Rangabzeichen. Es spricht immer nur einer von denen und der kann gut Russisch. Ossetien ist Spielball politischer Interessen geworden.“

Ich frage, ob er sich an Tengis Abuladses Film „Die Reue“ erinnert? Darin stirbt ein verdientes Parteimitglied in der sowjetischen Kaukasusrepublik Georgien, die Zeitung veröffentlicht den üblichen Nachruf auf den vorbildlichen Sohn des Volkes. Nach der Beerdigung wird der Leichnam von Unbekannten wieder ausgegraben, er wird wieder beerdigt, am nächsten Morgen liegt er erneut offen da. Dahinter steckt eine Frau, deren Eltern Stalins „Säuberungen“ zum Opfer fielen. Sie will, dass dieser Täter nicht in Ehren beerdigt wird, sondern auf dem Schindanger landet.

Ich sah den Film des georgischen Regisseurs 1987 in Moskau; wie eine Verschwörerbande saßen wir im überfüllten Kino. Tod eines Diktators: Man dachte an Brechts „Arturo Ui“ und an Chaplins „Großen Diktator“. Als der Film im West-Fernsehen lief, erhob sich in der DDR ein Riesengeschrei. Die ,Junge Welt’ und das „Neue Deutschland“ machten mobil. „Keine Fehlerdiskussion!“ lautete der Zauberspruch, den die hiesigen Diadochen ins Feld führten. Tamerlan will wissen, ob ich ihn gerade zu agitieren versuche. Ich: „Nein. Wir hatten hier das Glück, dass sich uns nach 1989 ungeheure Möglichkeiten eröffneten, die Nazizeit und die darauf folgenden 44 Jahre sowjetischer Dominanz und ihre Strukturen gründlich zu erforschen.“ In der Sowjetunion gab es zwar in den letzten Gorbatschow-Jahren eine Phase der Selbstreflexion, sehr kurz gab es das auch noch während der JelzinZeit, aber dann war Schluss.

Tamerlan: „Hieß der Enkel des Diktators nicht Tornike? Er bringt sich um, als er erfährt, wer sein Großvater war.“ Am Ende ist es dessen verzweifelter Vater, der die Leiche des Großvaters ausgräbt und in eine Schlucht stößt. Tamerlan will wissen, was aus dem georgischen Schauspieler wurde, der den Tornike spielte. Er heißt Merab Ninidze und emigrierte 1992 in den Westen. Er lebt heute in Wien.

Ich erzähle ihm, dass wir während der Tschetschenienkriege Kontakt zu russischen Schauspielern aufnahmen und ein zunächst stockender, aber zunehmend kontinuierlicher Dialog zwischen den Theaterleuten der gegnerischen Parteien zustande kam. Vermitteln, vielleicht ist das die Aufgabe, die angesichts unserer eigenen Geschichte gerade uns Deutschen zufällt. Kann sich Tamerlan etwas Ähnliches mit georgischen Kollegen vorstellen? „Der private Tamerlan vielleicht. Für den öffentlichen Dzudzow ist es zu früh“, sagt Tamerlan am Telefon.

Peter krüger

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