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Kultur: Keanu Christ Superstar

Es ist nachgeladen: „Matrix Reloaded“ will einen Welterfolg fortsetzen

Die Leinwand füllt sich mit grünen Zeichen. Zeichen, wie wir sie vom Beginn des Computerzeitalters kennen. Diese flimmernden, krümeligen Zahlen und Buchstaben sollten einmal die Welt regieren? Wir konnten es kaum glauben. Anfangs wirkten Computer so harmlos. Piepsende Rechenknechte in klobigen Plastikgehäusen. Sie verstanden nur MS-DOS und wollten mit Floppys gefüttert werden. Wie süß.

In Wahrheit war die Zeit schon 200 Jahre weiter. Längst wurde die Welt von einem einzigen riesigen Netzwerk beherrscht: der Matrix. Die Realität – oder besser: was wir dafür hielten – war ein Bluff, eine Benutzeroberfläche, mit der die Matrix uns in dem Glauben hielt, in einer überschaubaren Welt zu leben. Wir waren so naiv.

Es war das Jahr 1999, als die beiden bis dahin wenig in Erscheinung getretenen Filmemacher Larry und Andy Wachowski die Menschheit aufklärten. Nicht wir brauchten das Netz, das Netz brauchte uns: um die Energie für seinen Betrieb zu erzeugen. Die einzig mögliche Antwort: Ausstieg aus dem System! Wacht auf! Zieht an Euren Strippen! Soviel Aufruhr, wogegen auch immer, war lange nicht im Kino. Der brave Angestellte Thomas Anderson, gespielt von Keanu Reeves, verließ seine Bürowabe und schloss sich den Ausgestoßenen an, die in einer Art Raumschiff unter der Erde unterwegs waren. Und siehe: Er war der Auserwählte, der Retter der Menschheit. Keanu Christ Superstar.

Ein Held, bleich und schüchtern, der das Böse mit einer Art Daten-Kung-Fu bekämpfte. Ein Held, der nicht, wie Dutzende zur Zeit, aus der Marvel-Comic-Mottenkiste der sechziger Jahre stammte. Kein Hobbit aus dem Auenland, sondern ein abgebrühter Held, mit allen Wassern der Moderne gewaschen. Neo, so hieß er fortan, setzte seinen Fuß auf unbekanntes Terrain, in eine paranoide Welt und bot dabei neben brutal-eleganter Action genug Boden zum Gründeln.

„The Matrix“ wurde zu einem ideologischen Sammelbecken, in dem sich Science-Fiction-Freunde und Globalisierungsgegner trafen, Verschwörungstheoretiker und Cyber-Punks. Ein diffuses Unbehagen einigte sie, das sich leicht projizieren ließ in diese Mischung aus klassischer Mythologie, Christentum und Rastafarianismus. So genau konnte das niemand bestimmen. Auch die Wachowskis halten sich bis heute bedeckt, was Deutungen ihres Werkes angeht. Angeblich haben sie sogar vertraglich vereinbart, keine Interviews geben zu müssen.

Bleibt die Ästhetik. Sie setzte Maßstäbe. Die Kampfszenen wirkten wie Ballett, Pistolenkugeln wurden von der Kamera während des Flugs umrundet. Die Gesetze von Raum und Zeit schienen außer Kraft. Durch unzählige Nachahmer in Videoclips und Werbespots kann man heute behaupten: Selbst wer „Matrix“ nicht im Kino gesehen hat, ist mit diesem visuellen Stil vertraut. Mit dem ausgiebigen Gebrauch der Zeitlupe, den dunklen grünstichigen, beinah modrigen Farben, den filigranen Sonnenbrillen, die an Insektenaugen erinnern.

Ein „Reload“ bedeutet in der Sprache der computerisierten Welt: Ein Dokument, zum Beispiel eine Internetseite, wird noch einmal geladen, also in der aktuellsten Version aus dem Internet auf den Rechner des Benutzers übertragen. In der Welt der Waffentechnik bedeutet ein „Reload“: Nachladen, wenn das Magazin leergefeuert ist. Beides trifft auf den zweiten Teil zu. Nicht nur haben einige Figuren Upgrades erfahren, wie Agent Smith, der Prototyp des Sachbearbeiters, des Herrn von der Zeitsparkasse. Er ist nun in der Lage, in beliebig vielen Kopien aufzutreten. Auch der Action-Anteil fällt deutlich höher, schneller, weiter, aus. Für die 14-minütige Verfolgungsjagd – vermutlich die längste, hochoktanigste und teuerste der Filmgeschichte – wurde eigens ein Autobahnstück gebaut.

Die Jünger von Hermann Hesse

Die logistischen Details der Produktion werden seit Wochen so gebetsmühlenartig weltweit von allen Medien verbreitet, dass der Eindruck entstehen könnte, „Matrix“ sei selbst ein alles beherrschendes Netzwerk. Tatsächlich tun die Wachowskis einiges, um ihren Stoff zu einem eigenen Universum auszubauen. Nicht nur mit Computerspielen, Kurzfilmen und Gimmicks aller Art – auf der Internetseite gibt es auch eine Philosophie-Abteilung. Dort werden lange akademische Essays über Descartes oder Platon veröffentlicht. Der als belesen geltende Larry Wachowski ging sogar so weit, eine kleine Rolle für Cornel West zu schreiben, dessen Bücher „Prophesy Deliverance“ und „Race Matters” er besonders schätzt. Nun spielt West, im Hauptberuf Professor für African-American Studies an der Princeton University, einen Ratsherrn der unterirdischen Stadt Zion.

Bei den Dreharbeiten, sagte West dem amerikanischen Nachrichtenmagazin „Time“, habe man sich angeregt über Homer’sche Epik unterhalten, über Schopenhauer und Hermann Hesse. Über letzteren, so West, wisse Larry Wachowski vermutlich mehr als die meisten deutschen Gelehrten. Auf jeden Fall verstehen er und sein Bruder es, Geschichten raunend zu verrätseln, mit Zitaten zu jonglieren, und so jene Cinemascope-Breite zu erreichen, die sich sonst nur mit „Star Wars“-, „Potter“- oder „Ringe“-Dimensionen füllen lässt. Einige Besatzungsmitglieder der „Nebukadnezar“ bekommen jetzt ein Familienleben, andere eine Vorgeschichte. Eine schleichende Ver-Soapung.

Es gibt viel Hauen und Stechen in dieser virtuellen Welt, aber wenig Bluten. Selbst bei erbitterten Kämpfen wird kaum geschmutzt. Keine abgetrennten Körperteile, keine heraushängenden Eingeweide. Dieses scheinbar folgenlose Disco-Ninja-Geholze erscheint mittlerweile wie eine popkulturelle Metapher. Maschinengewehrsalven als Gitarrenriffs, Fußtritte als Bass-Drum-Sound, Autounfälle wie gesampelte Schreie von James Brown. Niemand weiß mehr, woher das Original stammt, aber jeder hat den Klang im Ohr. Im echten Leben der echten Menschen beherrscht leider niemand den Kugelstopper-Trick.

Zion, wo sich die letzten echten Menschen verschanzt halten, erinnert mit seiner groben Maschinerie an Fritz Langs „Metropolis“, der Weg dorthin vielleicht ein wenig an Jules Verne, der Senat der Stadt an den der Jedi-Ritter. Es gibt einige Momente unfreiwilliger Komik, die man den Wachowskis so nicht zugetraut hätte. Zum Beispiel der hippiemäßige Underground-Rave, bei dem die Menschen sich angstfrei tanzen oder eine Dialogstelle, in der Morpheus (Laurence Fishburne) vom Orakel schwafelt und sein Gegenüber ihn anschreit: „Ich will diesen Scheiß nicht hören“.

Diese Bilderorgie will weggeguckt werden. So wie Neo, Trinity und Morpheus sich per Datenkabel auf die Reise in die Matrix begeben – physisch anwesend, aber mental in der Matrix – so kann man sich diesem digitalen Mahlstrom hingeben, ihm vielleicht die etwas hölzernen Dialoge verzeihen und die Tatsache, dass er die hochgelegte Latte des ersten Teils mit sich in den Bilderstrudel reißt. Egal. Es ist nachgeladen. Die „Revolutionen“ – der dritte, bereits abgedrehte Teil – werden im Herbst folgen. Bis dahin wird das Betriebssystem der Matrix sicher noch einmal aktualisiert. Drücken Sie eine beliebige Taste um fortzufahren.

Ab morgen in 31 Berliner Kinos, OV im Cinemaxx Potsdamer Platz und im Cinestar Sony-Center

Ralph Geisenhanslüke

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