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Zusammen. Erik (Thure Lindhardt, links) und Paul (Zachary Booth) – ein Paar, neun Jahre lang.

©  Salzgeber

„Keep the Lights On“: Die Liebe, die Sucht, die Liebe

Der US-Filmemacher Ira Sachs erzählt in „Keep the Lights On“ die schmerzhafte Chronik einer schwulen Beziehung.

Eine scheinbar simple Szene: Ein Typ kommt nach Hause, nimmt sich Eiscreme aus dem Gefrierfach und löffelt sie, mit melancholischem Blick. Dazu aus dem Off die scheppernde E-Gitarre und der klagende Kopfgesang Arthur Russells. Doch die Szene dauert zwei für einen Spielfilm radikal lange Minuten, in denen die Kamera ganz dem Helden und seinem stillen Leiden vertraut. Und es ist unübersehbar: Die Sache zwischen Erik (Thure Lindhardt) und Paul (Zachary Booth) geht nicht gut aus.

Das erste Mal treffen sich die beiden zum Sex. „Ich bin eher aktiv“, verrät der Dokumentarfilmer Erik beim anonymen Telefon-Date und macht sich auf den Weg zum vermeintlichen One-Night-Stand. Es wird mehr daraus, neun Jahre Beziehung sind es am Ende von „Keep the Lights On“. Zu Beginn ist alles ganz leicht: gemeinsam in Ausstellungen gehen, im Park liegen, herumalbern – und die Crackpfeife, die Paul herausholt, nichts weiter als ein kleiner Störfaktor.

Bald aber folgt das ewige Spiel: Eifersucht flammt auf, Paul legt sich zum Schlafen aufs Sofa statt ins gemeinsame Bett. Erik reagiert trotzig wie ein Kleinkind, und das nicht zum letzten Mal. Je mehr sich auch das Crack in den Vordergrund drängt, je heftiger es von Paul Besitz ergreift und sein Leben und seine Arbeit als Anwalt überwuchert, desto deutlicher wird auch Eriks Abhängigkeit: Ohne Paul geht nichts.

Erst noch scheint der Entzug erfolgreich zu sein. „Ich muss mich aus dem Genesungsprozess heraushalten“, lautet deshalb Eriks Mantra. Doch dem gemeinsamen Weihnachtsessen mit Freunden, den Liebesbekundungen des Paares folgt der erneute Absturz. Paul bleibt für Tage verschwunden. Als Erik ihn in einem Hotelzimmer findet, wirkt Paul extrem aufgekratzt und redet wirr daher. Und während Paul sich mit einem Callboy vergnügt, sitzt Erik wie schockgefrostet im Nebenzimmer. Lange Sequenzen fangen die wechselhafte Beziehung der beiden New Yorker ein, immer wieder erkundet die Kamera Eriks Gesicht, erforscht diese erst sanftmütig, später immer hilfloser schauenden Augen.

„Keep the Lights On“, der mit dem Teddy Award den schwul-lesbischen Filmpreis der jüngsten Berlinale gewann, ist ein autobiografisch inspirierter Film. Regisseur Ira Sachs („Married Life“) hat nicht nur die Figur des Paul seinem drogenabhängigen Ex-Partner Bill Clegg nachempfunden, einem erfolgreichen Literaturagenten. Sondern er lässt Erik sogar eine Dokumentation über Avery Willard drehen, einen Fotografen und Chronisten der New Yorker Schwulenszene seit den 1940er Jahren. Über das Leben Willards produzierte auch Sachs selber einen Kurzdokumentarfilm.

Die Bezüge zum eigenen Leben sind für „Keep the Lights On“ zugleich Segen und Fluch: Viel Glaubwürdigkeit steckt in den Figuren, die Dialoge wirken wahrhaftig. Die Beziehung von Erik und Paul kippt in bedrohlich langsamem Tempo hin und her, aus Zärtlichkeit wird Abhängigkeit – und umgekehrt. Andererseits fehlt jene Distanz zu den Figuren, die für eine straffere Handlung hätte sorgen können und Redundanzen verhindert. Viermal kündigt der Film einen Zeitsprung über zwei oder drei Jahre an, wobei diese Brüche am Ende mehr der Treue zur Biografie als der narrativen Logik zu folgen scheinen. Das ermüdet – und ist schade, angesichts des präzisen Spiels der Hauptdarsteller und der äußeren Ruhe, die den Film durchzieht.

Das große Verdienst Sachs’ ist es jedoch, keinen rein queeren Genre-Film geschaffen zu haben oder sich bloß an klassischen Themen wie Coming-out oder HIV abzuarbeiten. Stattdessen zeigt er mit seinem sensiblen Drama eine homosexuelle Beziehung in genau der Individualität und Allgemeingültigkeit, die Liebesgeschichten auszeichnet.

OmU: fsk, Tilsiter Lichtspiele, Xenon

Kaspar Heinrich

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