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Kultur: Kein Fluß im Bach

Was tun mit Bach? Die Frage hat schon so manchen Choreographen ratlos gelassen.

Was tun mit Bach? Die Frage hat schon so manchen Choreographen ratlos gelassen.Denn die Reife und Komplexität der Musik verlangt vom Tanzschöpfer handwerkliche Fähigkeit, Musikalität und inhaltliche Dichte.Hamburgs John Neumeier etwa hat sich so einige Male an einer Gratwanderung zwischen Abstraktion und konkreter Handlung versucht - und strandete in pathetischem Edelkitsch.Allein Rosamund Gilmore gelang vor Jahren eine meisterhafte Konfrontation der h-Moll-Messe mit den Alltagsnöten eines Kleinbürgerpaares.In der Regel jedoch ist der Rückgriff auf den reinen Tanz noch die eleganteste Lösung.

Das jedenfalls mag sich auch der Niederländer Ton Simons, mit seiner Kompagnie in New York beheimatet, bei seiner Wahl des "Magnificat" gedacht haben.Da das "Marienlob" jedoch für einen Abendfüller zu kurz ist, hat er Bachs Weihnachtsvesper mit allerhand Präludien, Toccaten, dem Adagio aus der Sonate Nr.3 in C-Dur sowie einem zerstückelten Auszug aus der Motette "Jesu, meine Freude" angereichert.Auch John Cage und Philip Glass stehen für Simons, ein wenig beliebig und dramaturgisch nicht eben zwingend, in verwandtschaftlicher Beziehung zum Leipziger Thomaskantor.

Die inhaltliche Linie ist als schlichtes Crescendo gedacht: aus den Niederungen irdischen Leids zu den Höhen einer himmlischen Freude.Desgleichen spiegelt auch die Farbskala der vom Choreographen selbst entworfenen Kostüme: Die harten Schwarz-Weiß-Kontraste des Anfangs verwandeln sich allmählich in ein popbuntes Spektrum sämtlicher Regenbogenfarben.Dabei wirken die Tänzer in ihren engen, durchscheinenden Trikots zuweilen, als seien sie versehentlich in ein Farbbad gefallen.Mal ist es ein Arm, mal eine ganze Körperhälfte, die im frisch optimistischen Farbenspiel erstrahlt.Auch die Aushängung läßt Lichtdesigner Franck Evin wechselweise im grellen Discolook erglühen.Eine Farbdramaturgie für schlichte Gemüter, die doch die Dürftigkeit der Choreographie kaum überdecken kann.

Denn was Simons hier tänzerisch auf den Weg bringt, ist allenfalls dilettierendes Epigonentum.Früher Kylián und van Manen mischen sich mit einigen Cunningham-Mißverständnissen.Eine eigene Sprache mag sich da in keinem Moment am grellbunten Horizont abzeichnen.Gern läßt Simons die Frauen in der Grätsche über den Boden schleifen.In Trios dominieren endlose Hebeverwicklungen, die jede Dynamik stillstellen.Ansonsten regiert viel hohes Bein und ein munteres Kreiseln auf der Stelle.Nichts kommt je in einen organischen Fluß.Von der hohen Musik eines Jirí Kylián, die sich vor allem in den Duetten durch Geschmeidigkeit und überraschende Wendungen auszeichnet, scheint Simons nicht einmal etwas zu ahnen.Er behilft sich mit steifem Posieren und versucht, die Musik mit Slow-Motion zu konterkarieren.

Das könnte gelingen, würde denn sein "Magnificat" je an Tempo gewinnen.Die meiste Zeit aber unterläuft Simons die musikalischen Tempi, daß einem bange wird, der Choreograph sei entweder taub oder ein eingeschworener Bach-Gegner.Dabei verfährt er trotz allen zeitgenössischen Anspruchs äußerst konventionell.Choräle werden mit dem Aufgebot des gesamten Ensembles quittiert, Arien - als ginge es nicht anders - solistisch besetzt.

So wird die geistige Tiefe der Bachschen Musik nicht einen Moment aufgefangen, sondern bloß die Oberfläche in choreographischer Klippschulmanier nachgezeichnet.Simons addiert seine dünnen Einfälle und summiert sie doch unterm Strich zu keiner choreographischen Substanz.Wenn das Ensemble zum effektheischenden Spektralfarben-Finale ansetzt, bleibt nichts zu bündeln, denn nichts ist gesagt."Bach war wohl der einzige Komponist", so Simons im Programmheft, "der bei Mozart Selbstzweifel aufkommen ließ, nachdem dieser die Größe der Bachschen Musik erlebt hatte." Von derlei Selbstprüfung scheint der Choreograph des "Magnificat" unselig frei zu sein.

Wieder am 4., 18.und 25.Dezember 27.Januar und 19.Februar.

NORBERT SERVOS

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