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Kultur: Kein Gott, nirgends

Ikarus hat das Unmögliche versucht, er wollte fliegen. Er ist gescheitert, doch sein Traum ist schließlich wahr geworden.

Ikarus hat das Unmögliche versucht, er wollte fliegen. Er ist gescheitert, doch sein Traum ist schließlich wahr geworden. Der 1935 geborene Theaterregisseur Adolf Dresen war auch ein Verfechter des Unmöglichen: Wenn Politik die Kunst des Möglichen ist, meinte er, so ist die Kunst selbst das Unmögliche. "Ikarus wird fliegen", überschrieb er seinen Text zu Wolfgang Mattheuers Bild "Seltsamer Zwischenfall" von 1984, das jetzt in der Galerie Brusberg zu sehen ist.

Dort ehrt die Ausstellung "Wieviel Freiheit braucht die Kunst?" den im vergangenen Jahr verstorbenen Theatermann. Das Motto stammt von Dresen. Es ist der Titel einer Textsammlung, die zu Dresens 65. Geburtstag erschien, und der er die Worte Heinrich Bölls als Motto voranstellte: "Was die Kunst einzig und allein braucht, ist Material. Freiheit braucht sie nicht, sie ist Freiheit." Der Regisseur wusste, dass Kunst Bedingungen braucht, unter denen sie leben kann. Das spiegelt sein Theaterwerk wider.

Den meisten ist Adolf Dresen als Regisseur bekannt: bis 1977 am Deutschen Theater Berlin, nach seiner Übersiedlung in den Westen am Wiener Burgtheater und dem Schauspiel Frankfurt. Seit 1985 hatte er sich auch als Opernregisseur einen Namen gemacht. Doch Dresen war mehr als ein Theatermann, und das zu zeigen, ist Verdienst der Ausstellung. Sie präsentiert Bilder von Achim Freyer und Hans Brosch, die mit Dresen zusammengearbeitet haben, von Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer, für die er Texte geschrieben hat, von Max Ernst und Hubertus Giebe, mit denen ihn Thematisches und Politisches verband.

Die Ausstellung rollt einen Streifen deutscher Geschichte auf. Max Ernsts "Ballade vom Soldaten" - gezeigt wegen seiner Verwandtschaft zu Dresens "Wozzeck"-Inszenierung 1987 an der Wiener Staatsoper - verweist, obwohl erst 1972 entstanden, auf einen noch von Mann zu Mann geführten Krieg, in dem Gott über der Szenerie schwebt, während Giebe in seinen in den Achtzigern entstandenen Bildern den Vernichtungsapparat des NS-Staates aufmarschieren lässt: Brennende Synagoge, SS-Horden in der Pogromnacht, die verjagten Künstler Brecht, Ernst Busch, Peter Weiss, und die ermordeten Lorca, Walter Benjamin. In der Welt wohnt Gott nicht mehr.

Grundverschieden die Technik der beiden Maler: Genau und fein die pastellfarbigen Lithografien von Max Ernst, die den Menschen als abstrahierte Figur in seinem Verhältnis zur Masse Soldat, die Soldaten in ihrem Verhältnis zum Tod oder zu Gott zeigen, und die trotz Krieg nicht auf einen Anflug von Humor verzichten. Fotofahnen, übergroß und blutrot übermalt bei Giebe, die durch das Riesenhafte der Menschen und die vergrößerte Ausschnitte historischer Fotos Angst machen. Keine Chance für Humor oder Ironie.

Die innerdeutsche Geschichte erzählt sich in Widerstandsszenen der Literatur. Bernhard Heisigs 2000 entstandene "Mutter Courage"-Lithografien zum Beispiel, zu denen Adolf Dresen im folgenden Jahr einen seiner letzten Texte schrieb, zeigen düstere Bilder des Klassenkampfs, die ihre Verwandschaft mit Käthe Kollwitz nicht leugnen können. Dresen dazu: "Sie kommen aus dem Chaos, und die Spur des Chaos haftet ihnen noch an." Oder die Plakatentwürfe zu "Michael Kohlhaas" von Hans Brosch für Dresens Inszenierung am Deutschen Theater 1977: Gouache auf Papier, expressionistisch in Rot und Schwarz, skizziert darin eine Gestalt, die versucht, ein zu kräftiges Hufeisen auseinander zu drücken. Der revoltierende Kohlhaas, wenige Wochen nach der Ausweisung Wolf Biermanns auf die Bühne gebracht, ließ sich plötzlich in Bezug auf die Proteste in der DDR verstehen und brachte Dresen ins Visier der Staatssicherheit. 1978 kehrte er von einer Arbeit in Basel nicht in den Osten zurück.

Die Ausstellung zeigt ein Panorama unterschiedlicher Künstler. Dem Betrachter vermittelt sich dennoch eine Einheit - in der Person Adolf Dresens: das Bild eines Theater, Malerei, Literatur und Politik umfassenden Künstlers.

Inka M. Lehmann

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