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Kultur: Kein IQ hält ewig

Fredi M. Murer verfilmt in „Vitus“ das Drama eines hochbegabten Kindes

In der Schweiz war dieser Film ein großer Erfolg. Das Land schickt ihn auch ins Rennen um den Oscar für den besten nichtenglischsprachigen Film. So so.

Wer sein Kind Vitus nennt, muss ein Problem haben. Dann schon lieber Kevin oder irgendeiner von diesen unmöglichen Namen, aber nicht Vitus. Doch der Junge ist genau so, wie er heißt. Als er sechs ist, hat er einen IQ von 180, spielt Schumann vorwärts und rückwärts. Dies ist ein Film für alle, die sich sorgen, von ihrem Kind nicht genug gefordert zu haben, es nicht auf die immer noch besseren Schulen geschickt zu haben. Für alle also, die ihren Kindern einfach das Kindsein ließen.

Liebe Miteltern, es ist gut so! Es gibt – in „Vitus“ ist das zu besichtigen – nichts Schlimmeres als überambitionierte Eltern. Eltern, die ihre Kinder zum Projekt machen. Vitus’ tief unangenehme Mutter feuert zuerst die Klavierlehrerin ihres Sohnes, dann seine Babysitterin, um schließlich den Beruf aufzugeben – für Vitus. Um ihn 24 Stunden am Tag fördern zu können. Mit zwölf sollte der Junge doch schließlich Abitur machen.

Natürlich trägt Vitus eine Mitschuld. Er ist einfach zu intelligent. Intelligenz macht einsam, wer wüsste das nicht? Gleichaltrige mit ihren einfältigen Spielen sind dem Kind fremder als Fledermäuse. Fledermäuse mag er. Die Wände seines Zimmers sind voller Fledermausbilder. Vielleicht, weil die Radarflieger ihm so ähnlich sind. Sie sehen nichts, stoßen nirgends an und kommen trotzdem überall durch. Vitus, der Alleinflieger.

Der Schweizer Fredi M. Murer hat einen Film über das Drama des hochbegabten Kindes gemacht, leider recht ungelenk und mit vordergründigen Kinoeffekten. Das ist schade, weil Vitus’ Alleinflug durch die Welt bald eine schöne und hier keinesfalls zu verratende Wendung nimmt. Nur so viel: Niemand ist seiner Intelligenz ausgeliefert, und es ist immer gut, für dümmer gehalten zu werden, als man ist. Kein IQ hält ewig.

Der Einzige, der Vitus’ Isolation spielend durchdringt, ist Vitus’ Großvater – wunderbar Bruno Ganz als jungenhaft alter Mann mit der Fantasie eines Kindes. Schön, ihn nicht als Hitler zu sehen. Hier hat er wieder Ähnlichkeit mit dem akut suizidgefährdeten alten Kellner aus „Brot und Tulpen“. Für Ganz lohnt dieser Film, vielleicht. Und für all die Vitusse (Teo Gheorghiu ist Vitus mit 12 Jahren), die nach innen zu schauen scheinen, selbst wenn sie uns ansehen.

Babylon Mitte, Capitol, Cinemaxx Potsdamer Platz, Filmpalast, Filmkunst 66 (OmU), Filmtheater Friedrichshain, Kulturbrauerei, Passage

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