zum Hauptinhalt

Kultur: Kein Ort - ein Zustand

Schwabing war einmal.Die Künstler sind weggezogen, die Bohème sowieso.

Schwabing war einmal.Die Künstler sind weggezogen, die Bohème sowieso.Heute wohnt dort nur mehr, wer es sich leisten kann.Mit anderen Worten: Es ist hohe Zeit für Legendenbildung.

Es ist schon so lange die Zeit für Legenden, daß die Entzauberung unweigerlich fällig wurde.Das Münchner Stadtmuseum liefert sie mit seiner Ausstellung "Schwabing.Kunst und Leben um 1900", exakt vierzig Jahre, nachdem im örtlichen Kunstverein ein erster Versuch der dokumentarischen Darstellung des Phänomens Schwabing gewagt worden war.Damals sollen noch Schwabinger Urviecher gesichtet worden sein.Heute gehört das Feld den Nachgeborenen.

Sie tauchen ein in eine zugleich fremde und vertraute Welt.Die Ausstellung versagt sich glücklicherweise jede Anbiederei.Die große Tradition der im sinnlichen Material schwelgenden, zugleich kritisch aufgerauhten Ausstellungen hat sich das Stadtmuseum aus der Zeit von Christoph Stölzl bewahrt.Jetzt hat sich Helmut Bauer - Leiter der Möbelsammlung des Stadtmuseums - an das scheinbar so eingängige Thema Schwabing gemacht und es im Museum selbst eher kühl und distanziert ausgebreitet, um es mit einem um so schöneren, opulenten Bildband in garantiert nicht buchregalfähigem Großformat würdig zu begleiten.

Kein Zweifel, Bauer und seine zahlreichen Mitstreiter - allein der zusätzliche Essayband enthält Beiträge von dreißig Autoren - haben sich in ihr Thema verliebt; aber Liebe macht in diesem Fall nicht blind.Die schier nicht in ihre Einzelbestandteile zerlegbare Schwabinger Melange aus Kunst, Lebenskunst, Lebensfreude, Hochstapelei und Nachäfferei versuchen sie nicht zuletzt anhand herausragender Figuren der Jahrhundertwende anschaulich zu machen.Das gelingt in der Ausstellung mit ihren rund eintausend Objekten, während das wunderbare Fotomaterial, mit dem das Album aufwartet, eher der Sehnsucht nach dem Verlorenen Vorschub leistet.

Denn ein geistiger Kontinent muß Schwabing schon gewesen sein.Der Vorort von München - der Schwabing ursprünglich war und keinesfalls verwoben mit der angrenzenden bayerischen Residenzstadt - sei "kein geographischer Ort, sondern ein kultureller Zustand", hat Erich Mühsam geschrieben, und die legendäre Franziska Gräfin Reventlow, deren lockerer Lebenswandel zum Vorbild ausbrechender Bürgertöchter geriet, prägte den schönen Begriff von "Schwabing als Zustand".Ursprünglich ging es in diesem Zustand darum, Kunst zu produzieren, und so lebten um 1900 nicht weniger als 1180 registrierte Künstler am Ort - 13 Prozent der im Deutschen Reich gemeldeten, wie der akribische Begleitband weiß.Was für Kunst sie schufen, war naturgemäß höchst unterschiedlich; aber nachdem frühere Ausstellungen wie die unvergessene zum Thema "Kandinsky und München" (1982 vom Guggenheim Museum New York ins Münchner Lenbachhaus übernommen) den Zusammenhang von Hochkunst und Volkskultur einsichtig gemacht haben, ist es an der Zeit, auch die heute weniger hoch geschätzten Hervorbringungen der "Kunstmaler" seligen Angedenkens vorzuführen, unter denen die Mitbegründer der Moderne wie eben Kandinsky, Marc oder Klee herausragen.Entsprechend der Vorstellung von Bohème, mit der der heutige Besucher sich über die zahllosen Vitrinen beugt, wimmelt es darüber hinaus von karikierenden Darstellungen des Betriebes an der ehrwürdigen und prachtvoll untergebrachten Akademie.Dem königlichen Hause gesellten sich im übrigen zahlreiche private Kunstschulen hinzu, darunter auch für die nicht zur Akademie zugelassenen weiblichen Aspiranten die "Damen-Akademie" des Künstlerinnen-Vereins.

Nein, allzu ernst ging es nicht zu; allenfalls bierernst, und darin trafen sich Bohème und die ortsansässige, aufgrund eigener, gefestigter Überzeugungen wohlwollend-liberale Bevölkerung.Keine Ausstellung zu Schwabing, ohne die glorreiche Satirezeitschrift "Simplicissimus" zu würdigen oder die Kabaretts, unter denen die "Elf Scharfrichter" schon zur Epochenwende 1900 ein Programm mit dem ahnungsvollen Titel "Durchs dunkelste Deutschland" boten! Ja, später kam noch ein anderer Kunstmaler nach Schwabing, mit den Initialien A.H., aber das war gottlob in einer Verfallszeit, die die Ausstellung nicht mehr beleuchten muß.- Noch später fiel dem Haß des besagten Schwabing-Zuzüglers auch Erich Mühsam zum Opfer - die Inkarnation des politisierenden Literaten, obwohl diese (De-)Klassifizierung ihm bitter unrecht tut -, der den Freiheitsdrang als das Kennzeichen der Bohème erklärt hat, ohne jedoch hinzuzusetzen, daß es zuallererst und im Grunde nur um die Freiheit des Anders-sein-Dürfens ging, die sich in Schwabing so unvergleichlich besser als anderenorts ausleben ließ.

Überhaupt die Meister des Wortes: Thomas Mann figuriert hier eher am Rande, obgleich sich doch auf sein geflügeltes Wort "München leuchtete" sich alle München-Werber gerne berufen."Ommo", wie der junge Mann in der Familie gerufen wurde, blieb ein Beobachter, kein Protagonist der Schwabinger Szene.Der künftige Großdichter - der in München mit den "Buddenbrooks" immerhin sein Weltruhmes-Buch schrieb - hielt allerdings auf ironische Distanz zum offiziellen, selbstgefälligen Kunstgeschmack an der Isar, der neben der Schwabinger Bohème existierte.Zu dieser Zeit ging die führende Stellung in der zeitgenössischen Kunst auf Berlin über.Schwabing behielt die Lebenskünstler und zunächst auch noch die Dichter.Frank Wedekind und Stefan George sind gewissermaßen die Antipoden, der junge Rilke und seine angebetete Lou Andreas-Salomé bilden ein Idealpaar.Daneben entsteht die wunderschöne Zeitschrift "Die Insel" als Insel des guten, besser gesagt des erlesenen und vor allem großbürgerlich unterfütterten Geschmacks.Aber irgendwann wird auch Schwabing zu klein, da wandert dann ein Original-Bohémien wie Gustav Gräser in zahlreicher Begleitung zu Fuß über die Alpen ins Tessin und findet oberhalb von Ascona den legendenumrankten Monte Verità, wo aus dem Künstlervölkchen endgültig die gläubige Gemeinde der Lebensreformer und Naturapostel wird.

So könnte die Ausstellung enden.Sie bleibt aber lieber eine Art unendlicher Geschichte und liefert keine Chronologie, sondern, getreu dem Reventlowschen Motto, die Beschreibung eines Zustandes.Kunst und Leben sollten sich vereinen und taten es wohl auch eine Zeit lang, ob auf den sturmfreien Buden oder bei den legendären Festen der legendären Pension Fürmann.Es muß ein schöner Zustand gewesen sein.

Münchner Stadtmuseum, St.-Jakobs-Platz 1, bis 27.September.Katalog 5 DM, Essayband 25 DM, Album (Großformat, 312 S.m.580 Farbabb.) 88 DM.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false