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Kultur: Kein stummer Zeuge

Fritz Sterns und Elisabeth Siftons Doppelbiografie von Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi.

Mut hat nicht unbedingt etwas mit Heldentum zu tun. Eher mit: Zivilcourage und Verantwortung. „Die letzte, verantwortliche Frage ist nicht, wie ich mich heroisch aus der Affäre ziehe, sondern wie eine kommende Generation weiterleben soll“, schrieb Dietrich Bonhoeffer Ende 1942. Ein Jahr zuvor hatte der Theologe den Sprung in die Konspiration gewagt. Vom NS-Regime wegen „volkszersetzender Tätigkeit“ mit einem Rede- und Schreibverbot belegt, musste er damit rechnen, dass jeder seiner Schritte von der Gestapo überwacht würde. Trotzdem unternahm er, getarnt als Mitarbeiter der Spionageabwehr, Reisen nach Schweden, Norwegen und in die Schweiz, um im Auftrag des militärischen Widerstands Kontakt zu den alliierten Regierungen aufzunehmen.

Dass er sich damit in Lebensgefahr brachte, nahm er in Kauf, er wollte nicht länger „stummer Zeuge böser Taten“ bleiben. Bonhoeffers Schwager Hans von Dohnanyi begründete seinen Weg in den Widerstand noch lakonischer: „Es war einfach der zwangsläufige Gang eines anständigen Menschen.“ Bonhoeffer und Dohnanyi wurden im April 1945 ermordet, nachdem Hitler befohlen hatte, die Verschwörer um den Abwehr-Chef Wilhelm Canaris hinzurichten. Während Bonhoeffer heute wie ein Märtyrer verehrt wird, der sein Leben für den Kampf gegen die Diktatur opferte, ist Dohnanyis Beitrag zum Widerstand fast vergessen. Dabei hatte die Gestapo einst konstatiert, er sei „das geistige Haupt des 20.VII.“.

Unter den Menschen, deren Engagement gegen das Regime im Attentat vom 20. Juli 1944 gipfelte, waren Dohnanyi und Bonhoeffer herausragende Figuren – der eine als Organisator, der andere als Ideologe. Sie „verdienen es, dass ihrer gemeinsam gedacht wird“, schreiben Elisabeth Sifton und Fritz Stern in einem Buch, mit dem sie nun eine Lücke füllen. Denn es gibt zwar mehr als ein Dutzend Biografien über Bonhoeffer und seine Theologie und auch ein paar biografische Annäherungen an Dohnanyi. Was fehlte, war eine Doppelbiografie über die beiden Freunde, deren Leben so eng miteinander verknüpft war. Bessere Autoren als den großen amerikanischen Historiker Fritz Stern und seine Ehefrau Elisabeth Sifton, die als Lektorin und Verlegerin gearbeitet hat, kann man sich für eine solche Parallelerzählung nicht denken. Stern, inzwischen 87 Jahre alt, stammt wie Bonhoeffer aus Breslau, ihre Väter, beides Ärzte, waren miteinander befreundet. Und Siftons Vater, der Theologe Reinhold Niebuhr, hatte 1930/31 zu Bonhoeffers Lehrern am „Union Theological Seminary“ in New York gehört.

„Das Dritte Reich hatte keine Feinde, die bedeutender, unerschrockener und bewundernswerter waren“, urteilen Sifton und Stern über Bonhoeffer und Dohnanyi. Man kann über diesen Superlativ streiten, fest steht aber: Während andere Galionsfiguren des Widerstands wie der spätere Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg oder die Geschwister Scholl anfangs noch mit den Nationalsozialisten sympathisierten, waren Bonhoeffer und Dohnanyi schon ab 1933 entschiedene Gegner des Regimes.

Bonhoeffer warnte zwei Tage nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler in einer Rundfunkansprache vor einem Wandel des „Führers“ zum „Verführer“. Er kämpfte gegen die Einführung des Arierparagrafen in das Kirchenrecht, betrieben von den „Deutschen Christen“, die sich als „SA Jesu Christi“ sahen. Dass die Mehrzahl der Protestanten dem Antisemitismus des NS-Staates folgte und die „Nichtarier“ aus ihren Reihen ausschließen wollte, ließ den jungen Pfarrer und Dozenten verzweifeln. „Hier haben die verständigsten Leute ihren Kopf und ihre Bibel gänzlich verloren“, klagte er gegenüber einem Schweizer Freund.

Dohnanyi, der 1925 Bonhoeffers Schwester Christine geheiratet hatte, war nach einer steilen juristischen Karriere im Juni 1933 zum persönlichen Referenten des Justizministers Franz Gürtner aufgestiegen. Seine Stellung nutzte er – „mit kühler Effizienz und wachsender Empörung“, so die Autoren – zum Aufbau eines Archivs der Verbrechen des NS-Staates, das für spätere Ermittlungen gegen die Täter dienen sollte. Er knüpfte Kontakte zu Verschwörern wie Ludwig Beck, Hans Oster und Henning von Tresckow. Seine subversive Arbeit, zu der auch die Unterstützung von „Nichtariern“ bei ihrer Flucht vor der Deportation gehörte, bezeichnete er ironische als „Privatpraxis“.

Im März 1943 schmuggelte Dohnanyi in seinem Handgepäck eine Bombe nach Smolensk, wo Tresckow sie in einem Flugzeug deponieren konnte, mit dem Hitler in sein ostpreußisches Hauptquartier flog. Doch der Zündmechanismus versagte, wahrscheinlich wegen der extremen Kälte im Flugzeugrumpf. Als am 20. Juli 1944 Stauffenbergs Bombe im „Führerhauptquartier“ explodierte, waren Dohnanyi und Bonhoeffer bereits seit über einem Jahr in Haft. Sie wurden gefoltert, gaben aber keinen Namen eines Mitverschwörers preis. Bonhoeffer sah in der Isolation und den Qualen des Gefängnisalltags auch eine Probe seiner Glaubensstärke. „Da wirft man sich Gott ganz in die Arme, da nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst“, schrieb er in einem seiner berühmten Briefe aus Tegel. Dohnanyi antwortete im Verhör auf die Frage seiner Motive für die Gegnerschaft zum NS-Staat: seine Abscheu gegenüber „Rechtswillkür und dem Vorgehen des Nationalsozialismus in der Juden- und Kirchenfrage“.

„Keine gewöhnlichen Männer“ ist ein bewegendes Buch, geschrieben gleichermaßen mit Akribie wie Empathie. Fritz Stern entkam 1938 mit seiner Familie aus Deutschland nach New York. Den Terror, von dem er erzählt, hat er am eigenen Leib erfahren.

– Fritz Stern, Elisabeth Sifton: Keine gewöhnlichen Männer. Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi im Widerstand gegen Hitler. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ruth Keen und Erhard Stölting. C.H. Beck, München 2013. 176 Seiten, 18,95 Euro.

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