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Kultur: Keine Angst, Virginia

Stephen Daldrys „The Hours“ gilt als aussichtsreicher Bären-Kandidat – und fährt mit Nicole Kidman, Julianne Moore und Meryl Streep ein sensationelles Trio auf

Es gibt eine Krankheit, die heißt Virginia Woolf. Unendliche Müdigkeit, unerklärliche Traurigkeit sind die Symptome. Und Einsamkeit, tödliche Einsamkeit, das Gefühl, wie durch eine Schallmauer getrennt zu sein vom fröhlichen, normalen Treiben da draußen. Das Leben scheint so schwer, als trage man Steine in den Taschen. Und häufig endet der Weg im Tod. Bevorzugt ergreift es jene blassen Frauen, die zu dünnhäutig scheinen, um dem Leben standzuhalten, die mit den rot geränderten, müden Augen und dem Mund, der auch beim Lächeln leicht zuckt in den Winkeln.

Nicole Kidman, Julianne Moore und Meryl Streep sind Prototypen dieses Frauenbildes. Und „The Hours“ der Film, der sie und alle Facetten des Leidens an sich selbst und der Welt monumental in Szene setzt. Stephen Daldrys Verfilmung einer Vorlage von Michael Cunningham eilt aus den USA ein Ruf wie Donnerhall voraus: Es regnet Nominierungen und Preise (unter anderem den Golden Globe für den „Besten Film“ und die Darstellung von Nicole Kidman als Virginia Woolf), und der Cast bietet so ziemlich alles, was sich in Hollywood an Stars finden lässt: neben dem starken Damen-Trio in den Nebenrollen Ed Harris, John C. Reilly (auch als betrogener Ehemann in „Chicago“ eine der Entdeckungen der diesjährigen Berlinale), Jeff Daniels, Miranda Richardson, Eileen Atkins, Clare Danes... Dazu das Skript von Theaterautor David Hare und die Filmmusik von Philip Glass. Wenn das Gesetz der Serie oder des Marktes gilt, müsste noch mindestens ein Bär dazukommen.

Die Konstruktion von „The Hours“ ist kompliziert, aber elegant: Drei Frauen, drei Leben werden miteinander verwoben. Virginia Woolf, die in ihrem Sommerhaus in Richmond an dem Roman „Mrs Dalloway“ arbeitet, eine Hausfrau im Kalifornien der 50er Jahre, die „Mrs Dalloway“ liest, und eine New Yorker Lektorin der Jetztzeit, deren Spitzname Mrs. Dalloway ist. Die Romanfigur Clarissa Dalloway, die eines Morgens auszieht, um Blumen für eine Party zu kaufen, und im Laufe des Tages ihrer großen Liebe und dem Tod begegnen wird, bildet den roten Faden zwischen den Episoden. Das ganze Leben in einem einzigen Tag zu spiegeln, war die Grundidee des Woolf-Romans, die der Film übernimmt: Alle drei Frauen werden im Verlauf eines Tages vor die Entscheidung zwischen Tod oder Leben gestellt.

Die Besetzung der Hauptrollen ist eine Sensation. Es ist ein Wettstreit der Selbstaufgabe, der zwischen Kidman, Moore und Streep abläuft: Nicole Kidman, mit dunkel gefärbtem Haar und neuer Nase, hat sich ihrer Vorlage bis zur Unkenntlichkeit anverwandelt. Virginia Woolf hat einmal darüber geklagt, dass, wenn sie über die Straße ginge, sich ein jeder umdrehe, um sie anzustarren, weil sie etwas Sonderbares, Lächerliches an sich habe. Nicole Kidman dagegen berichtete während der Dreharbeiten vom Glück, in ihrem Outfit auf der Straße nicht erkannt zu werden. Und doch hat sie etwas von der Fremdheit eingefangen, die Woolf so schmerzhaft spürte. Von der Auflösung, die sich weniger im abwesenden Blick, im zerknitterten Kleid ausdrückt als in ihren Händen: raue, gerötete, angespannte Hände voller Tintenflecke. Und Arbeitshände, auch wenn die Arbeit nur im Halten der Feder besteht – und dem Niederschreiben weniger, im Film zitierter Sätze, die lange nachhallen. Den Tod in der Ouse dagegen hätte Daldry uns ersparen können.

Das wirkliche Ereignis jedoch ist nicht Kidman, nicht Meryl Streep, die zwar im Film am meisten Raum bekommt, ihn jedoch etwas zu angespannt schmerzensreich füllt. Sondern Julianne Moore als Laura Brown. Zunächst scheint sie die uninteressanteste Figur, die kleine Hausfrau, die schon an der leichten Aufgabe verzweifelt, ihrem Mann zum Geburtstag einen Kuchen zu backen. Und doch hat man das Hervorbrechen inneren Elends selten schrecklicher gesehen. Die liebevolle Aufmerksamkeit gegenüber Mann und Sohn ist eine nur unter unendlichen Mühen aufrechterhaltene Fassade. Dass der Tod nicht die schlechteste aller Möglichkeiten sein muss, hier begreift man es. Und dass das Überleben schlimmer sein kann – eigentlich wäre es nicht nötig gewesen, dass der Film es uns zum Ende noch beweist.

Und doch wird man nicht ganz froh mit „The Hours“: Etwas zu geschmackvoll, zu sorgfältig ausgestattet wirken die Bilder, die die teils noch viktorianisch düsteren, teils naturverbunden strahlenden 20er Jahre in England ebenso exakt rekonstruieren wie die künstliche Glamour-Welt der amerikanischen Nachkriegszeit. Zu sensibel der Umgang mit den fragilen Frauen. Und zu sehr dominiert der Dauerton von Trauer und Verzweiflung. Virginia Woolf war, neben ihren Depressionen, Essstörungen, Kopfschmerzen, eine ausgelassene Frau, Freundin wilder Partys, Picknicks und langer Spaziergänge, der Mittelpunkt jeder Gesellschaft. In „The Hours“ ist sie – wie auch ihre Nachfolgerinnen– zum weiblichen Hiob geworden.

Heute, 15 Uhr und 18.30 Uhr (Royal), 22.30 Uhr (International) .

Christina Tilmann

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