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Kultur: Keine Angst vor Blitzgewitter

Weimar wird unvermeidlich.Es wird die letzte "Kulturhauptstadt Europas" sein, die Würde und Bürde, 365 Tage lang Metropole zu spielen, alleine trägt.

Weimar wird unvermeidlich.Es wird die letzte "Kulturhauptstadt Europas" sein, die Würde und Bürde, 365 Tage lang Metropole zu spielen, alleine trägt.Im Jahr 2000 wird dann eine Phalanx aus neun Kulturstädten den Titel ad absurdum führen.Helsinki, Bergen, Reykjavik im Norden, Bologna, Avignon und Santiago de Compostela im Süden und Westen sowie in der Mitte Prag, Krakau und Brüssel werden parallel zur "Expo" in Hannover um Aufmerksamkeit ringen.

Im Vergleich dazu hat es die Thüringer Mittelstadt leicht, wenn am Vorabend des neuen Jahres das totalrenovierte Neue Museum mit der Sammlung Paul Maenz und eintausend angemeldeten Gästen das Feuerwerk von Highlights einläutet.Denn dann hat Weimar das erste Museum für zeitgenössische Westkunst auf internationalem Niveau in den neuen Bundesländern und steht mit 300 Bildern, Objekten, Installationen und rund 400 Zeichnungen von Donald Judd, Dan Flavin, Daniel Buren über Anselm Kiefer und Keith Haring bis zu Angela Bulloch wie ein Herausforderer auf der Landkarte der Museen für Gegenwartskunst in Europa.Davon abgesehen, bietet diese Dependance der Kunstsammlungen zu Weimar der milieu-orientierten Vermarktung eine Tür, verzichtet auf Museumsshop mit Krimskrams und eröffnet statt dessen die erste Filiale des grundsoliden Anbieters "Manufactum" im Sockelgeschoß.Daneben liegt das Kaffeehaus.Dezente Projektionen des Künstlers Robert Barry werfen Wörter in mehreren Sprachen auf alles, was sich im Einfallswinkel befindet.

Doch wir haben uns im Zugang vertan.Zwar kann man vom Vorplatz des Museums durchs Café in die Schauräume hinaufsteigen und trifft im Gewölbe zuerst auf Monica Bonvicinis "A violent, cyclonic, tropical piece of art having wind speeds of or in excess of 75 miles per hour" - einen Windraum zweier Ventilatoren, deren Premiere in einer Berliner Galerie im Frühling dieses Jahres zu einem deutlichen Anzeichen für die neue Künstlergeneration Berlins geworden ist.Doch korrekt nähert man sich über die Freitreppe, von deren Postament eine goldglänzende Skulptur Thomas Schüttes in Demutshaltung den Besucher begrüßt.Was dieser zunächst nicht weiß: Er hat bei der Annäherung einen Kontakt ausgelöst, der einen Teil der Rückseite des Museums blitzhaft in strahlendes Scheinwerferlicht setzt.Nähert sich jemand von der Rückseite, aktiviert er den Spot an der Front.Alle Seiten haben ein Gegenüber.Die Täter sind nie dort, wo ihre Wirkungen sichtbar werden.Und falls die Sicherungen nicht durchbrennen, wird diese Lichtinstallation von Gunda Förster den wuchtigen Bau, der nach dem Krieg in Schutt und Asche lag, bei Besucherandrang im Blitzgewitter tanzen lassen.

In einem Museum hat man es mit Werken, nicht mit Künstlern zu tun.Und in einem Sammlermuseum steht zunächst der Stifter im Vordergrund, Paul Maenz, der die Werke einer Beziehungslogik aussetzt und jetzt auf drei Geschossen erstmals versammelt sieht, was er in mehr als drei Jahrzehnten erwarb: ein Lebenswerk, das ihm in dem Moment ganz zufällt, da er sich davon befreit.

Paul Maenz übergibt den Kunstsammlungen das materielle und geistige Ergebnis seines öffentlichen Umgangs mit Kunst aus zwanzig Jahren Kölner Galerienarbeit.Sie begann 1970 und endete 1990, förderte damals weitgehend unbekannte Künstler wie Daniel Buren, Hanne Darboven, Joseph Kosuth, Sol LeWitt, setzte Moden durch wie den Trubel um das italienische Trio Chia, Cucci, Clemente und wurde früh Komplize von Paolini, Haring, Kiefer, so daß das Galerie-Finale auf dem Höhe- und Wendepunkt des Marktes im Jahr 1990 mit Anselm Kiefer so viele Besucher anzulocken versprach, daß Maenz und sein Mitstreiter Gerd de Vries vorab eine schwarzgewandete Body-Builder-Garde anheuerten.Und dann war Schluß."Wir meinten, aus der Kunst herausgehört zu haben", sagt Maenz im Rückblick, "daß für uns und für die Kunst diese Galerie nicht mehr nötig ist." Dann zogen sie nach Berlin, reisten von Rügen in langen Schleifen bis nach Weimar und entdeckten einen vergessenen Kontinent aus nahvergangener Zeit.Nostalgie war nicht im Spiel: "Mein erster Weimarbesuch hatte in Buchenwald begonnen.Da sahen Goethehaus und Frauenplan anders aus.Mir war klar geworden, daß historisches Zugehörigkeitsgefühl etwas Normales sein kann.Zum ersten Mal war ich nicht mehr stolz darauf, mich zu schämen, Deutscher zu sein.Buchenwald und Goethe denkt man dann als Teil der Geschichte und auch der eigenen Verwicklungen mit.Daher vielleicht der erste Gedanke: Hier würde ich gerne etwas machen."

1992 wurden im Weimarer Schloß Gemälde von Cranach gestohlen.Der Direktor Rolf Bothe klagte, es reiche wohl nicht, das ganze 20.Jahrhundert verloren zu haben; nun auch die Inkunabeln! Maenz schrieb Bothe, er habe zwar kein ganzes Jahrhundert, aber schöne Beispiele aus den letzten dreißig Jahren.Bothe griff beherzt zu und einigte sich mit dem Sammler auf eine mehrteilige Lösung.Die Hälfte der Sammlung kommt als Dauerleihgabe ins Museum, ein Viertel wird mit Hilfe der Stadt und des Landes erworben, und das vierte Viertel kann der stolze Museumsdirektor gar als Schenkung in Empfang nehmen.

Was für ein Griff! Die Kunstsammlungen zu Weimar standen aus der Perspektive des Kulturtourismus trotz ihrer teilweise kapitalen Werke Alter Meister immer im Schatten von Goethe und Schiller.Da fiel die Sammlung nur Kennern auf.Einmal gelang es mit der Jungkünstlerschau "nach weimar", die überregionale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.Es war ein Vorspiel für neue Darstellungsformen.Mit der Sammlung Paul Maenz weht nun "Auffrischender Wind aus wechselnden Richtungen" - so das Motto - und stellt hohe Anforderungen an die Vermittlung.Mag Weimar auch Provinz sein; die Sammlung Paul Maenz ist dem Kopf eines Großstädters entsprungen.Vieles ist neu.Und zuviel Neues verwirrt.

In der Vorhalle mit einem großen Fries von Sol LeWitt steht ein überdimensioniertes Sofa neben Stehlampe vor Videomonitor von Pipilotti Rist.Es war gewiß kein Fehler, das leutseligste Ensemble dieser derzeit Starruhm genießenden Schweizer Künstlerin noch vor dem Gang zur Kasse zu plazieren.Nach dem erhebenden Aufgang über die Freitreppe signalisiert es die Stube daheim.Wiederkennen entspannt.Denn das Gros der ausgestellten Werke stammt aus Diskussionen und Traditionen, die die Einwohner Weimars nicht geteilt haben.Und es gibt vielleicht keine zweite Stadt, die sich im runderneuerten Straßenbild so wenig mehr auskennt."Erst bringen sie euch Kultur, dann nehmen sie die Wohnungen", schrieb jemand an eine Fassade der Geschwister-Scholl-Straße.Das ist übertrieben.Aber mehr als neunzig Prozent der Weimarer, so eine Umfrage der lokalen Universität, fühlen sich von den Kulturaktivitäten der Gastspieler überfahren.Doch es waren immer die Zugereisten, die im Guten und im Schlechten etwas bewegten, das Wirkungen zeitigte.Weimar gehörte nie den Weimarern.Man läßt sie nicht Provinz sein.Man sieht eine Metapher für Geschichte.Maenz beruft sich auf den ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann, der mit Blick auf Harry Graf Keßler, auch er ein Hauptakteur in Weimar, von einer "anderen Tradition" gesprochen hat, die eben auch eine deutsche sei: "zivil und demokratisch, weltläufig und urban, intelligent und elegant".Das hat der Direktor der Kunstsammlungen gesehen und nahm die Herausforderung an, die die Stadt in puncto Gegenwartskunst mit anderen vergleichbar macht.Nach einem Jahr sollen Wechselausstellungen hinzukommen.Dann wird sich zeigen, ob die Stadt die andere Tradition zu konturieren weiß.Die Umgebung ist wach.Von Goethes Geburtsstadt Frankfurt am Main ist es nach Weimar ebenso weit wie von Berlin.Bisher seufzten Berliner, die sich für Gegenwartskunst interessieren: "Kein Umland, also kein Gegendruck." Jetzt erwächst mit Weimar in erreichbarer Umgebung eine erstklassige Adresse, die der Kunst der Gegenwart wegen der Anreisen wert ist und durch ihre Aktivitäten Wettbewerb und Werturteile schärfen kann.

PETER HERBSTREUTH

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