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Kultur: Keine Angst vor Schmuddelfilmen

Eine Oscar-Nominierung für ein drastisches Erotikdrama? Heute unvorstellbar.

Eine Oscar-Nominierung für ein drastisches Erotikdrama? Heute unvorstellbar. Doch Türkische Früchte , Paul Verhoevens erster internationaler Skandalerfolg, erhielt 1973 eine Nominierung als bester fremdsprachiger Film. Heute zeigt ihn das Brotfabrik-Kino im Rahmen des Pornofilmfestivals, eine ziemlich abwegige Zuordnung, denn sexualtechnisch bietet Verhoeven keine Pornografie. Drastisch ist sein Film auf der emotionalen Ebene. Der Bildhauer Erik (Rutger Hauer) behandelt seine Freundinnen schlecht, wirft sie unbekleidet aus der Wohnung, nur weil sie einen kessen Spruch riskiert haben, oder er schneidet ihnen ein paar Schamhaare ab, die er sich für eine ChaplinNummer unter die Nase klemmt. Sex als Amoklauf: Kein Wunder, dass niederländische Feministinnen damals gegen Verhoeven aktiv geworden sind.

Erstaunlich wenige Filmemacherinnen haben versucht, dem männlichen Sexismus einen eigenen weiblichen Sexismus entgegenzusetzen. Als die Französinnen Virginie Despentes und Coralie Trinh-Thi mit Baise moi (2000) ein wüstes und blutrünstiges Sexdrama präsentierten, hagelte es bitterböse „So-nicht“Kritik, als gebe es einen korrekten Zugang zu Sex und Gewalt (Mittwoch im Neuen Kant). Den Amoklauf von zwei Frauen, ausgelöst durch eine Vergewaltigung, inszenierten die Regisseurinnen konsequent als schmutziges Kino von unten. Dass er schnell wieder aus den Kinos verschwunden ist, hat ebenso zum Kult um den Film beigetragen wie der Selbstmord der Hauptdarstellerin Karen Bach.

Die Wut der Frauen aus „Baise moi“ ist nachvollziehbar, auch wenn sie sich gegen Unbeteiligte richtet. Noch verstörender wirkt der nette, etwas verschlossene Judosportler aus Uwe Frießners Baby (1984), der mit zwei Bekannten einen Supermarkt überfällt (Dienstag im Arsenal). Baby will einfach nur ein eigenes Sportstudio eröffnen. Frießner schildert das Absinken eines braven Jungen in die Kriminalität betont nüchtern und verzichtet darauf, dem Elternhaus oder der Gesellschaft die Schuld zu geben. Weil er ohne zeitbedingte Thesen auskommt, ist Frießners Film kein bisschen gealtert.

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