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Kultur: Kinder oder Inder

Der jüngste deutsche Film: „Probelauf“ in der Akademie der Künste

Zwei Filme, ähnlich und doch einander fremd. Beide Male eine alte Frau, dem Tode nahe, zu Hause von den Kindern gepflegt. Doch während „Chlorophyll" des indischen Regisseurs Abhijit Mazumdar die innere Lebenswelt seiner Heldin mit intim gesetzten Lichtern und akustischen Metaphern sinnlich erfahrbar macht, weht in „Der Wald so kalt“ von der DFFB-Studentin Anne Pütz durch das heimische Krankenzimmer die eisige Luft von Klinik und Horrorfilm.

Zum elften Mal luden die beiden Berliner Filmhochschulen dazu ein, sich in der Akademie der Künste unter dem Titel „Probelauf“ ein Bild vom Nachwuchs zu machen. Ein Bild allerdings, das bei nur vier Filmen pro Schule ebenso viel über die Vorlieben der auswählenden Hochschulleitung sagt wie über die der Studierenden. Dabei ist es Tradition, neben den Berliner Ausbildungsstätten auch eine Gastinstitution einzuladen. Dieses Jahr war die bedeutendste indische Filmschule, das Film & Television Institute of India (FTII) aus Poona, zu Gast – mit Direktor Tripurari Sharan, sechs Filmen und zwei Filmstudenten. Das 1963 gegründete Institut gehörte in seinen Anfängen zur Neuen Filmbewegung, die sich ähnlich wie in anderen Ländern programmatisch gegen die kommerzielle Verflachung des Star-Kinos wandte. Auch heute noch begreift sich das FTII mehr als Ort gesellschaftlicher Wahrheitssuche denn des Entertainments, auch wenn auf Grund der exzellenten Ausbildung regelmäßig Absolventen nach Bollywood abwandern. Die sechs indischen Arbeiten zeigten wenig Hang zu Show und Opulenz, sie übten sich eher in der Darstellung von Konfliktsituationen und der Erforschung filmischer Ausdrucksmittel: ein Junge, der die materielle Grundlage seiner Familie zerstört („Girni“ von Umesh Kulkarni), Söhne, die in den Krieg ziehen, Töchter, die verwitwen. Das Motiv erzwungener Trennungen kehrt immer wieder, ebenso die Frage nach Schuld und Moral.

Moderator Marcel Neudeck, selbst HFF-Student und beim „Probelauf“ mit einem Film im Rennen, konnte damit wenig anfangen. Er hatte sich in Bollywood-Erwartungen festgebissen. So trat er den indischen Gastbeiträgen mit offensiver Ignoranz entgegen, hofierte dafür ein Werk aus dem eigenen Haus („Little Miss Perfect“ von Nica Junker), das mit viel Improvisation und Kameragezappel unübersehbar zeitgemäß daherkam, an Substanz jedoch außer einer Art Thelma-und-Louise-Emanzipatorik wenig zu bieten hatte. Neudecks eigener „Nouvel Arsch“ scheint typisch für den Autismus deutscher Provenienz: eine fünfminütige Stilübung um einen Prenzelberg-Bewohner, der auf der Suche nach der Anti-Baby-Pille seiner Freundin in einem Hindernis-Parcours mit den technischen (Kinderkarren) und menschlichen (die Gören selbst) Auswüchsen seiner gebärfreudigen Bezirksnachbarn konfrontiert wird. Auch Selbstironie kann die seelische Armut solcher Nabelschau nicht übertünchen. Dennoch gab es auch Berliner Beispiele, in denen die Hingabe an fremdes Schicksal mitzureißen vermochte: ob in den Plastilinfiguren von Izabela Plucinskas „Jam Session“ (HFF) oder bei „Samagon“ (Selbstgebrannter) von Eugen Schlegel (HFF). Sein Beitrag handelt von einer Babuschka, die aus Kompott und Marmelade Wodka brennt, der sogar deutsche Soldaten zähmt.

Diese einfachen Geschichten bewegen und lassen darüber nachdenken, was Individualisierung und Originalitätsdruck aus jungen Regieaspiranten macht. Ist die eigentliche kreative Kraft nicht doch die Empathie? Müssen wir auch unseren Filmnachwuchs in den Werte-Unterricht schicken? „Große Filme haben immer mit Werten des menschlichen Lebens zu tun“, so die indischen Filmstudenten im Interview. „In dieser Hinsicht gibt es keinen Unterschied zwischen indischen Filmen und denen anderer Länder.“ Der Vergleich fällt für die hiesige Filmausbildung wenig günstig aus. Man muss ja nicht, wie ein Besucher den deutschen Kreativen empfahl, sich in der globalen Arbeitsteilung auf Juristerei und Modedesign beschränken. Vielleicht würde schon helfen, schärfere Trennungslinien zu ziehen zwischen Eigensinn und Narzissmus, Substanz und Lautstärke, Sensibilität für Fragen der Zeit und Trendbewusstsein.

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