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Kultur: Kinder- & Jugendbuch: So viele Seiten, so schräge Bilder

Wer außer den Kindern weiß schon, was Kinder lesen wollen? Eltern jedenfalls können leicht daneben liegen, hat der Berliner Jugendbuchautor Klaus Kordon erfahren.

Wer außer den Kindern weiß schon, was Kinder lesen wollen? Eltern jedenfalls können leicht daneben liegen, hat der Berliner Jugendbuchautor Klaus Kordon erfahren. Die verzweifelte Mutter eines nichtlesenden Sechsklässlers kaufte dem Jungen immer einfachere Bücher, immer buntere und banalere. Der Sohn ließ sie liegen. In letzter Konsequenz versuchte es die Mutter mit einem Kontrastprogramm - und lag richtig: "Die Roten Matrosen" von Kordon, ein über 500-seitiger zeitgeschichtlicher Roman für Leser ab 12 Jahren, machte den Jungen zur Leseratte. "Meine Leser", sagt Kordon, "wollen die Wirklichkeit kennenlernen und nicht diese netten, phantasievollen Geschichtchen." Seien es noch so viele Seiten und noch so wenige Bilder: Kinder und Jugendliche folgen Klaus Kordon Seite um Seite, wenn die kleinen Freunde Helle und Fritz 1918 mit aufständischen Matrosen durch Berlin ziehen, oder der 19-jährige Schreinergeselle Frieder und das 15-jährige Waisenkind Jette sich 1848 ineinander verlieben. Oder wenn er, wie in seinem ersten und immer noch sehr erfolgreichen Buch "Der Weg nach Bandung" von 1977, den Straßenjungen Tadaki in Jakarta sich als Bettler und Rikschafahrer durchschlagen lässt. Damals war Kordon erst zwanzig Jahre älter als seine Leser. Und trotzdem glaubt er auch nach all den Jahren noch zu wissen, was Kinder fesselt. "Ich schreibe die Bücher, die ich als Junge gerne gelesen hätte."

Solche Bücher gab es aber nicht in der frühen DDR und schon gar nicht für ein Heimkind wie Klaus Kordon. Der las mit elf "Krieg und Frieden" von Lew Tolstoj - und wundert sich gar nicht, dass es in Berlin ein elfjähriges Mädchen gibt, dass schon den vierten seiner dicken Romane verschlingt. Sollen andere Mädchen in diesem Alter doch Pferde-Bücher lesen und Jungen ihre Detektivgeschichten - Kordon hat keine Angst, seine Leser zu überfordern. "Der erste Frühling" (ab 14) spielt 1945 in Berlin, es gibt Tote beim Bombenangriff und Vergewaltigungen durch sowjetische Soldaten. In "Brüder wie Freunde" (ab 10) stirbt Franks bester Kumpel. Eltern sind da vorsichtig, glaubt Kordon. Kinder und Jugendliche aber wollten diese wahren Geschichten. Dafür schenkt Kordon ihnen "immer auch Hoffnung".

Kleine Kinder würden Bücher über Teletubbies oder Barbiepuppen lesen, bonbonbunte, niedliche Büchlein. Wenn man sie ließe. "Wenn ich malen würde, wie meine Tochter es schön findet, wäre das ganz schrecklich - für mich", sagt Jacky Gleich. Die Berliner Kinderbuch-Illustratorin malt nicht niedlich. Ihre Kinder sind freche, schrille Wesen, gezeichnet mit einem schrägen Strich. Ihre kleinen Mädchen können große Nasen haben, struppiges Haar und sie strecken nicht nur anderen Kindern die Zunge heraus. Väter können bei ihr kotzen und Mütter können spitze kleine Brüste haben und unmögliche Frisuren. "Mama ist groß wie ein Turm" fantasiert das kleine, freche und furchtbar einsame Mädchen in dem Buch von Brigitte Schär, das Jacky Gleich zuletzt illustriert hat. "Ich male für das Kind in mir", sagt die 37-Jährige. Anders gesagt: Sie lässt das Kind raus, das Ende der 60er Jahre von seinen Eltern "ziemlich frei" erzogen wurde. Wenn die Mutter mal versuchte, ihr und ihren Geschwistern bei Tisch Manieren beizubringen, machte der Vater hinter ihrem Rücken Faxen oder kratzte sich mit der Gabel am Rücken.

"Anweisung zum Anarchismus" seien ihre Bilder, sagt Jacky Gleich. Ihre Bilder brauchen viel Platz in den Büchern und viel Zeit zum Entziffern der Parallel-Geschichten, die sie erzählt. Kinder könnten bei ihr sehen: So ist es bei mir zu Hause auch, aber das gefällt mir nicht. Oder: So ist es nicht, aber das will ich auch. Ihr könnt fordern, ruft sie ihren kleinen Lesern zu, seid nicht einfach muffelig oder traurig, sagt, was ihr wollt und sprecht mit uns. Mit diesem Anarchismus-Begriff können Eltern vermutlich leben. Mit den Themen, die Gleich und ihre Autorinnen ihnen zumuten, nicht ohne weiteres.

Mit Amelie Fried machte sie 1998 "Hat Opa einen Anzug an?", ein Buch über den Tod. Eltern um die 40 hätten sich überhaupt nicht mit dem Buch anfreunden können. Wenn Fried und Gleich vor Schulklassen lasen, wunderten sich die Lehrerinnen, was da für Geschichten über den Tod hochkamen: Unverarbeitete Geschichten von Kindern, denen er verschwiegen wurde, die nicht mit zur Beerdigung durften. Also war es richtig, dieses Buch zu machen, denkt Jacky Gleich.

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