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Nach seinem abenteuerlichen Ausflug nach Dortmund in den Sommerferien landet Niks wieder wohlbehalten in Riga.

© REUTERS/Ints Kalnins

Kinderbuch: Von Riga nach Dortmund: Freundschaft in schwierigen Zeiten

Tanya Lieskes Roman „Mein Freund Charlie“ erzählt von einem ungewöhnlichen Sommer eines Jungen aus Riga in Dortmund

Das ist wohl der längste Aufsatz, den Niks in Riga jemals für seine Lehrerin Frau Mironova aufgeschrieben hat, denn wie überall auf der Welt, so auch in Riga, sollen die Kinder erzählen, was sie in den Ferien erlebt haben. Niks zögert, denn es geht um Räuber und Deutschland – Frau Mironova denkt sofort an Schiller: „Ich glaube, du schuldest deiner Klasse eine Geschichte“, sagt Frau Mironova und Niks greift zum Stift.

Aber Niks Geschichte hat nichts mit Schillers „Räubern“ zu tun, sondern eher mit Charlie und seiner Familie in einem heruntergekommenen Haus in Dortmund. Dorthin hat es Niks und seinen Vater Mahris verschlagen. Er hatte nämlich die abwegige Idee, die Sommerferien in Deutschland zu verbringen. „Deutschland is’ gut. In Deutschland haben alle Arbeit und wir haben ja jetzt den Euro.“ Und schnell wurde Niks klar, dass dieser Urlaub ein spezieller werden würde, denn der Vater hatte vom letzten Geld Bustickets nach Dortmund gekauft – 30 Stunden Fahrt. In dem Haus in Dortmund lernt er den Russen Charlie kennen, der ihn zunächst als „Scheißpolacke“ tituliert, aber das lässt Niks kalt. Er freundet sich rasch mit Charlie und dessen schöner Schwester Natascha an, die ihm verrät: „Mit Arbeit wird hier keiner reich.“

Man kommt ins Gespräch und Niks verrät Natascha, dass er sich besonders gut anschleichen kann, eine Fähigkeit, die Natascha besonders schätzt. Charlie auch. Von ihm lernt Niks, wie man sich unsichtbar macht und Dinge verschwinden lässt. Zur Familie gehören noch Vladimir, Nataschas dummstarker Verlobter, und ein großer Hüne, die zusammen nachts maskiert schwere Taschen in die Wohnung gegenüber schleppen.

"Viss bus labi" - "Mach dir keine Sorgen"

Tanya Lieske erzählt Niks’ Geschichte ganz locker aus dessen Perspektive. Dabei vergleicht er immer wieder die Zustände in Dortmund mit denen in Riga, lässt lettische Redewendungen einfließen, sodass man am Ende weiß, dass „Viss bus labi“ „Mach dir keine Sorgen“ heißt – ein Spruch, der in diesem Milieu durchaus seine Berechtigung hat. Klar gerät Niks auf die schiefe Bahn, hilft bei kleinen Gaunereien, auch um seinem Freund Charlie zu imponieren. Niks weiß eigentlich, dass das nicht ganz korrekt ist, was er hier tut, aber er rutscht in diese Szene hinein und genießt auch die Anerkennung der schönen Natascha, die immer einen Tick zu stark geschminkt ist.

Charlie beherrscht die seltene Kunst des plötzlichen Verschwindens.
Charlie beherrscht die seltene Kunst des plötzlichen Verschwindens.

© Beltz & Gelberg

Vater Mahris, der Lebenskünstler, hangelt sich so durchs Leben in Deutschland auf dem Bau, es ist doch anders, als er sich das vorgestellt hat. Vater und Sohn denken oft mit Wehmut an Riga und die vertraute Umgebung. Dann verunglückt Mahris und wird krank, Natascha brezelt sich auf und zieht im Krankenhaus eine Show ab, damit Mahris behandelt wird, und Niks rettet Charlie das Leben.

Die dramatischen Ereignisse überschlagen sich und sollen hier nicht verraten werden. Niks weiß, dass er hart am Rande der Legalität war, und Charlie rät ihm, nach Hause zu fahren. Tanya Lieske hat einen wunderbar leichten Roman über Freundschaft in schwieriger Zeit geschrieben, über Recht und Unrecht und wie man den richtigen Weg am Ende findet.

Tanya Lieske: Mein Freund Charlie. Roman. Beltz & Gelberg, Weinheim 2017. 171 Seiten, 12,95 €. Ab zehn Jahren.

Weitere Rezensionen finden Sie auf unserer Themenseite.

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