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Kultur: Kinderparkplatz statt Café

Ein alter Horch ist ein wunderbares Auto; sein Dasein beschränkt sich allerdings darauf, bestaunt und poliert zu werden. Das tun Publikum und dienstbare Geister seit kurzem im Lindencorso, der knapp drei Jahre nach seiner Fertigstellung endlich öffentlich zugänglich ist.

Ein alter Horch ist ein wunderbares Auto; sein Dasein beschränkt sich allerdings darauf, bestaunt und poliert zu werden. Das tun Publikum und dienstbare Geister seit kurzem im Lindencorso, der knapp drei Jahre nach seiner Fertigstellung endlich öffentlich zugänglich ist. Drei Ladengeschosse mit 10 000 Quadratmetern wollten sich nicht vermieten lassen, bis VW die große Lösung anbot und die Ladenetagen zum Showroom umfunktionierte. 22 Millionen Mark kostete der Umbau der noch nie genutzten Räume.Der Bau selbst steht im Stadtbild schon einige Zeit vor Augen und hat reichlich Kritik auf sich gezogen. Der Nähe zu faschistischer Architektur wurde er geziehen, sehr zu Unrecht, denn genaues Hinschauen führt zu anderen Erkenntnissen, und Monumentalität allein war keineswegs Privileg des NS-Staats. Machtvoll sitzt er jedoch in der Tat an prominenter Stelle im Zentrum der Friedrichstadt, fast den gesamten Block einnehmend, den wilhelminischen Geschäftsbau linkerhand erdrückend und zum Anhängsel degradierend. Das gleiche Problem wie bei den Friedrichstadtpassagen: Durch Zusammenlegung von Parzellen wurde die stadtverträgliche Größenordnung der Struktur aufgegeben. Nun dominiert der Bau die Linden und konkurriert mit Humboldt-Universität und Staatsbibliothek, was ihm nicht zusteht. Was Wunder, wenn der größte deutsche Autokonzern sich hier angemessen repräsentiert fühlt.Die imperiale Erscheinung ist nicht nur der Dimension geschuldet. Der Architekt, Professor Christoph Mäckler aus Frankfurt am Main, hat den Kontext aufmerksam studiert, ist mit Zollstock und Skizzenblock durchs Quartier gezogen und hat festgehalten, wie die Altvorderen Steine zum Sprechen brachten. Denn tote Steintapeten, mit denen die anderen Neubauten ringsum verhängt sind, sind ihm zuwider. Mit Putzfassaden, mit Beton und Glas kann er umgehen, auch der Backstein lebt auf in seiner Hand, nun also erstmals Naturstein, wie es in der Friedrichstadt der behördlich verordnete Brauch ist. "Rematerialisierte Moderne" nennt Mäckler sein Projekt und erklärt, wie man der dünnhäutig-kraftlos gewordenen Moderne wieder Tektonik und Volumen geben könne, wie man zu den Vorbildern Adolf Loos, Erich Mendelsohn und Louis Kahn zurückfinde, wie man der Wegwerf-Moderne wieder das würdevolle Altern beibringen könne. Beim Lindencorso setzt er auf Massivität, mauert zwölf Zentimeter starken Elmkalk bis ins dritte Geschoß hinauf (darüber sind immerhin noch acht Zentimeter vorgehängt), er arbeitet am Stein, profiliert ihn, kanneliert ihn, auf daß er Tiefe und Kraft gewinne; die angeböschten Flanken der Pfeiler vermitteln mesopotamische Statuarik. Eine Eckquaderung gar deutet er an, doch die ist eindeutig zuviel des Guten, denn sie vermag man unzweifelhaft als historisierend, klassizistisch anzusehen. Sie vor allem ist für die fatal pathetische Signifikanz des Gebäudes verantwortlich. All die anderen Details, die Erker, die kraftvollen Fensterumrahmungen, die Steinputzgewände und Gesimse können als moderne, zumindest aktuelle Interpretation zeitloser Bauelemente durchgehen, aber die Eckquaderung, nein, bei ihr kann sich der Architekt nicht herausreden. Christoph Mäckler, ein Traditionalist, Historist also auch er, das schmerzt.Dabei hat er solche Anbiederung nicht nötig. Wo in Berlin hat man in jüngster Zeit so elegante Fenster gesehen, die er so filigran gestalten konnte, weil er sie als schallschluckende Kastenfenster ausbildete, wo den eleganten Ladenbau, der ohne Messingnostalgie auskommt?Nicht unproblematisch sind die beiden renditesteigernd aufgesattelten Wohngeschosse, zurückgestaffelt, um dem Traufhöhendiktat zu entsprechen. Die Rahmenattika erinnert an die zwanziger Jahre und gliedert, "erleichtert" die Aufbauten. Ein kapitales Unglück freilich sind die Lüftungsaggregate auf dem Dach. Die ungestalten Blechmonster, vom Bahnhof Friedrichstraße her unübersehbar, hocken auf dem Bau und verhunzen die Silhouette. Die ganze schöne Noblesse ist dahin. Mit wenig Aufwand könnte man sie verkleiden, was schleunigst geschehen sollte.Andere Mißgriffe hat der neue Mieter zu verantworten. Bonbonfarben leuchten die nicht unbedingt wohlgestalteten Markenzeichen des Konzerns VW, Skoda, Bentley und so weiter. als überdimensionale Sammel-Buttons in den Straßenraum. Verheißungsvolles Lichtspiel verlockt den Passanten ins Innere des Lindencorsos. Hier kann er die Autos genauer in Augenschein nehmen, VW-Devotionalien erwerben. Capuccino trinken kann er auch noch, mit Blick in die weite Halle und auf die blinkenden Gefährte, denn in der ersten Etage der Galerie hat sich eine Kaffeebar etabliert - "Feinkost Käfer" natürlich. Das ist im Prinzip erfreulich, aber im speziellen Fall besonders ärgerlich, hat doch der Architekt zur Friedrichstraße hin besondere Räume mit einer breit auskragenden Holzfassade angeordnet, in denen das Café Bauer, das vor dem Krieg an dieser Stelle anzutreffen war, wiederaufleben sollte. VW hat hier jedoch das "Kinderparadies" eingerichtet, wo man beim Autokauf die lieben Kleinen parkieren kann. So verenden Ideen, die im Architekturwettbewerb Entscheidungsgründe sind - dumm gelaufen für die Stadtkultur.Angesichts der monofunktionalen Nutzung ist schwer zu sagen, ob die dreigeschossige Passagenhalle nun als öffentlicher Innenraum ein Gewinn sein kann. Formal ist sie sicher geglückt, mit ihrem zurückhaltenden, hellen, materialbewußten Design. Wie bei allen Neubauten in der Friedrichstadt - das "Adlon" ausgenommen - bildet sie den Gegensatz zum historisierenden Außenbau. Verlangt man beim den Stadtraum formulierenden Baukörper Geschichtsbeflissenheit, bricht sich im Inneren der Zeitgeist Bahn mit viel Glas, Stahl und High-Tech. "Stilhülse" und "Kern" erkannte Joseph Bayer 1886 als Gegensatz in der Architektur seiner Zeit. Heute ist es wieder soweit.Bürofläche hat der Lindencorso auch zu bieten. Ein blockhaftes Eingangstor an den Linden in "Tauerngrün" führt über eine steile Rolltreppe zum Empfangstresen ins zweite Obergeschoß. 16 000 Quadratmeter Bürofläche, die sich nur durch die ordentlich schalldämmenden und wohlgestalteten Kastenfenster von den Standardbüros der Nachbarschaft unterscheiden, sind von hier aus zugänglich. Die 25 Wohnungen im oberen Staffelgeschoß, 45 bis 220 Quadratmeter messend, edel ausgestattet und wahrlich attraktiv, bringen natürlich nicht die vom Senat einst geforderten 20 Prozent Wohnungsanteil, sondern nur knapp sieben, und die Handvoll "Executives", die sie sich leisten können, bringen auch sicher nicht das erhoffte Leben in die Innenstadt.Renditedenken beherrscht also auch diesen, vom Architekten mit überdurchschnittlichem Engagement behandelten Bau, der sich hoffentlich durch seine solidere Bauweise dem raschen Wechsel der Moden und Fassaden widersetzen wird. "Architektur, die 100 Jahre hält" will Mäckler bauen und sieht das als seinen ökologischen Beitrag zur Vermeidung von Abbruch-Sondermüll. In diesem Punkt ist er leuchtendes Vorbild.

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