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Kultur: Kindheitsmuster

Die Maxi-Playbackshow: Wie Michael Jackson zum Erfolg gedrillt wurde

Als Michael Jackson, der jetzt seit einer Woche auf sein Urteil wartet, den ersten Hit aufnahm, war er elf Jahre alt. Der Vater hatte seinen zweitjüngsten Sohn und vier von dessen Brüdern, zusammengespannt zur Gesangsformation „Jackson 5“, beim bereits legendären Musiklabel Motown unterbringen können. Von Indiana, wo Joseph Jackson als Kranführer in einem Stahlwerk arbeitete, waren sie nach Detroit gefahren, das sich nun auch „Hitsville U.S.A.“ nannte. Das winzige Studio befand sich im Keller des Hauses von Motown-Mogul Berry Gordy. Das erste Stück, das die Jackson 5 einspielten, hieß „Who’s Loving You“. „Bobby Taylor“ – der Produzent – „sang Michael den Song laut vor und zeigte ihm, wie er es haben wollte“, erinnerte sich Vater Joseph Jackson später. „Schon als kleiner Junge hatte Michael ein absolutes Gehör, ein Gedächtnis wie ein Aufnahmegerät.“ Als Rückseite von „I Want You Back“ erreichte „Who’s Loving You“ im Sommer 1969 den ersten Platz der Billboard-Charts. Michael Jacksons erster Hit: ein Dressurakt.

Tief grummelnde Bassläufe, seufzende Backgroundchöre, klebrig tremolierende Streicher: „Who’s Loving You“ enthält alle Ingredienzien einer typischen Motown-Ballade. Auch der Text folgt dem genreüblichen Schema, Marvin Gaye oder Diana Ross könnten ihn problemlos singen: „When I had you / I treated you bad and wrong my dear / And since, since you had been gone / I wonder who’s loving you“. Nur ist es Michael Jackson, ein Elfjähriger, der hier mit kieksender Zahnspangenstimme den Blues vom Einander-Verletzen und vom Verlassenwerden schmachtet.

Die Jackson 5 waren eine Band, in der Kinder zum Vergnügen eines größtenteils erwachsenen Publikums – ein wenig so wie später in der umstrittenen „Mini-Playbackshow“ bei RTL – die Posen und Gefühlslagen von Erwachsenen durchspielten. Michael war der Star der Truppe, seine im Falsett vorgetragenen „Buh-Buh“-Schreie wurden zum Erkennungszeichen ihrer Songs. Betont frühreif agierende Kinderstars wie Shirley Temple oder Judy Garland hatte es auch vorher schon gegeben. Doch die Jackson 5 beließen es nicht bei Andeutungen, ihr Bubblegum-Soul war auf eine deutlich direktere Art mit Sex aufgeladen. „Touch“, ein Stück aus dem Jahr 1972, benutzt eine unmissverständliche Metaphorik von heißen Kerzen und dahinschmelzenden Körpern: „Darlin’ just relax / You melt me like hot candle wax / One touch and my whole body melts.“ Für ihren Song „ABC“ wurden die Jackson 5 – Jackie, Tito, Jermaine, Marlon und Michael Jackson – 1970 mit ihrem ersten Grammy dekoriert. Sie schafften nacheinander vier Nummer-Eins-Hits in den amerikanischen Single-Charts, ein Rekord. Ende 1970 hatten sie bereits zehn Millionen Platten verkauft.

Der Hauptbelastungszeuge im Prozess gegen Michael Jackson war dreizehn Jahre alt, als sich auf der Neverland-Ranch ereignet haben soll, was die Anklage für Kindesmissbrauch hält. Kurz vor Prozessende ist den Geschworenen ein Video gezeigt worden, das die polizeiliche Vernehmung des vermeintlichen Opfers dokumentiert. Der Junge erzählt, wie der Popstar ihm Alkohol gegeben und sich dann an ihm vergangen habe, seine Aussage beendet er mit einer Bitte an die Beamten: „Erzählen Sie nichts meiner Mutter.“ Seine Worte könnten den Ausschlag geben in einem Verfahren, in dem es keine Beweise gibt, nur Anschuldigungen. Am Gericht des kalifornischen Städtchens Santa Maria geht der Nervenkrieg in eine weitere Runde. Jackson war zwischenzeitlich mehrfach in krankenhausärztlicher Behandlung, ein Schuldspruch könnte ihn bis zu 18 Jahre ins Gefängnis bringen. Die Jury wurde sich auch am vierten Tag ihrer Beratungen nicht einig.

Missbrauchs-Täter, das ist ein kriminalistischer Gemeinplatz, waren in ihrer Kindheit oft selber Missbrauchs-Opfer. Michael Jackson ist nicht vergewaltigt worden, aber Gewalt wurde ihm durchaus angetan. Zum Star wurde er als Objekt fremder Ambitionen, sein Vater musste die Enttäuschung darüber kompensieren, dass er es als Songschreiber und mit seiner Band „The Falcons“ nicht zu eigenem Ruhm gebracht hatte. Und Berry Gordy, als gnadenloser Talent-Ausbeuter berüchtigt, machte dem zehnjährigen Michael eine korrekte Prophezeiung: „I gonna make you the biggest thing in the world!“

Schon mit fünf Jahren stand Michael Jackson auf der Bühne, er trommelte die Bongos. „Sein Gesicht strahlte vor Freude, wenn die Nachbarskinder in unserem Garten seine Soloauftritte beklatschten“, erzählte der Vater. In Wirklichkeit waren die Auftritte das Ergebnis eines unerbittlichen Drills. Der Vater führte die Familien-Truppe mit harter Hand, was heißt, dass ihm diese Hand auch ausrutschen konnte. Vor allem aber arbeitete Joseph Jackson mit psychischer Gewalt. „You’re all nuthin’“, ihr seid alle nichts, war sein Standardsatz. Der Vater brachte seinen Kinder das Singen, Tanzen, Musizieren bei, der Durchbruch kam, als er mit ihnen Choreographien zu den Platten von James Brown einstudierte. Die Jackson 5 traten jedes Wochenende auf, zuerst bei Talentwettbewerben, bald auch in Strip-Lokalen, am Ende im Apollo Theatre in Harlem.

Michael Jackson fühlt sich betrogen: Der Vater habe ihm seine Kindheit gestohlen. „Er gab uns das Gefühl, wir seien völlig wertlos und taugten zu gar nichts.“ Sein erstes Soloalbum veröffentlichte er 1972, mit dreizehn, 1975 verließen die Jackson 5 Motown und nannten sich fortan „Jacksons“. Längst hatten die Fans begonnen, den Kleidungsstil der Gruppe zu kopieren, sie trugen Schlaghosen, Shirts mit weiten Ärmeln unter Fransenwesten und, natürlich, Afro-Frisuren. An diese frühe Jacksonmania erinnert sich Michael Jackson nur noch als Zeit bleierner Langeweile, er führte ein Leben in Hotels, Flugzeugen und Fernsehstudios und hatte „keinen einzigen Freund“. Später umgab er sich, längst erwachsen, mit Kindern und errichtete mit der Neverland-Ranch eine festungsartige Kindheitskulisse: ein Peter-Pan-Komplex. Mit seinem Vater hat sich Michael Jackson vor Prozessbeginn ausgesöhnt.

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