zum Hauptinhalt

Kultur: "King of the World": David Remnick porträtiert Cassius Clay als ersten unabhängigen Schwarzen Amerikas

Boxen übt auf die meisten Menschen eine eigenartige Faszination aus. Das mag zum einen an der archaischen Unmittelbarkeit dieses Sports liegen.

Boxen übt auf die meisten Menschen eine eigenartige Faszination aus. Das mag zum einen an der archaischen Unmittelbarkeit dieses Sports liegen. Zum anderen hat man große Boxkämpfe immer zu finalen Auseinandersetzungen stilisiert: Gut gegen Böse, Schwarz gegen Weiß, Kraft gegen Schnelligkeit. Die Boxer - zu handlichen Stereotypen reduziert - waren dabei oft nicht mehr als Marionetten in den Händen der Promoter. Nur einer ließ sich nicht klein machen und wurde zum Größten: Muhammad Ali. Er ist bis heute die schillerndste Gestalt in einem zwielichtigen Geschäft geblieben, weil er die Definitionsmacht über sich und seine Kämpfe erlangte: Während andere boxten, machte Ali Geschichte.

So argumentiert David Remnick, Chefredakteur des "New Yorker", in seiner Ali-Biografie "King of the World", dem vorerst jüngsten Buch einer langen Reihe von Büchern über den dreimaligen Schwergewichtsweltmeister. Um es gleich vorwegzunehmen: Remnick schlägt sie alle. Denn er nähert sich seinem Gegenstand, indem er ihm ähnlich wird: voller Elan, selbstbewusst, scharfsinnig und politisch. Nur der kleine große Text von Jan Philipp Reemtsma, "Mehr als ein Champion", kann da vielleicht noch mithalten. Reemtsma beschrieb darin den "geradezu poetischen Stil" des Boxers, und rechtfertigte den Intellektuellen, der nachts um vier aufsteht um sich einen Boxkampf im Fernsehen anzuschauen. Reemtsma berichtete von Alis hypnotischer Wirkung, Remnick erklärt, wie Ali zu jemandem werden konnte, der die ganze Welt in Bann schlug.

Er erzählt den "Aufstieg des Cassius Clay oder die Geburt des Muhammad Ali", wie das Buch im Untertitel heißt, beschränkt sich also auf den Zeitraum von Clays Jugend in den fünfziger Jahren bis zu seinem Boxverbot Ende der sechziger Jahre wegen Kriegsdienstverweigerung. Verklammert ist die Biografie durch den Besuch Remnicks auf Alis Farm in Michigan, wo der Champ heute mit seiner vierten Frau Lonnie lebt und langsam an der Parkinsonschen Krankheit - dem Preis für seine Siege - stirbt. Über dem Eingang zur Farm hat Ali ein Schild anbringen lassen. Darauf steht "GOAT" für "Greatest of all Times".

Ich bin der Schönste

Am Anfang war Cassius Clay alles andere als der Größte. Er hatte zwar, gerade 18-jährig, die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom gewonnen, doch die erhoffte Anerkennung blieb ihm versagt. In seiner Heimatstadt Louisville, Kentucky, verwehrten die Weißen ihm weiterhin den Zutritt zu ihren Läden. Und die dicke Lippe, die Clay immer und überall riskierte, machte ihn zum Skandal. Clay verkündete, dass er nicht nur der Größte, sondern auch der Schönste sei. Die Sportreporter, durch deren Brille Remnick an vielen Stellen auf Clay blickt, verachteten das "Großmaul" und wünschten ihm die schlimmsten Prügel auf die Nase. Clay hatte ihre Welt durcheinander gebracht.

Remnick beschwört diese alte Welt zunächst auf über hundert fulminanten Seiten. Zwei Typen von schwarzen Boxern herrschten darin: der "bad Nigger" und der "good Nigger". Der böse Neger war Sonny Liston, ein mehrmals vorbestrafter Schläger mit Verbindungen zur Mafia; den guten Neger gab der sanfte Floyd Patterson, der sich in der Bürgerrechtsbewegung engagierte. Dann kam Clay und schlug die beiden, nicht nur im Ring: "Als Kämpfer, als Selbstdarsteller, als einer der nach Unabhängigkeit strebte, als ein Mann von amerikanischer Originalität sollte Cassius Clay die Welt der Sonny Listons und Floyd Pattersons überwinden", so Remnick. Er war der erste wirklich autonome Boxer, vielleicht sogar der erste autonome schwarze Amerikaner. Und er war sich dessen bewusst. "Ich habe mich gemacht", verkündete er.

Clay bewahrte sich seine Unabhängigkeit gegenüber der amerikanischen Öffentlichkeit in allen seinen Entscheidungen. Ob er der radikalen schwarzen Sekte "Nation of Islam" beitrat, seinen Namen in Muhammad Ali ändern ließ oder den Kriegsdienst in Vietnam mit den berühmten Worten verweigerte, "I got no quarrel with the Vietcong" - stets fühlte sich Ali nur sich selbst verpflichtet - auch wenn er vieles nur aus Showgründen herausschrie oder damit seine eigene Angst bekämpfte.

Remnick kehrt nichts unter den Teppich, er hat auch die unangenehmen und grausamen Seiten der Ikone recherchiert. Etwa, dass Ali auf Befehl der "Nation of Islam" seinen Freund Malcolm X fallen ließ (was er heute stark bedauert), oder dass er den Tod von "Rasseschändern" forderte. Ali war kein Weiser, sondern ein junger, vielleicht zu junger Schwarzer, der sich in die Konflikte der sechziger Jahre nicht nur selbstbewusst einmischte, sondern sie durch seinen Mut und seine Persönlichkeit zugleich beförderte. Amerika verstörte er damit tief. Für einen, dessen Beruf es ist, andere mit den Fäusten niederzuschlagen, eine ist das bis heute eine ungewöhnliche Rolle.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false