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Kino aus Japan: Schamlos

Crime und Sex aus Japan: Mit „Guilty of Romance“ beschließt Sion Sono seine Hass-Trilogie.

Eine Frau macht sich frei. Izumi (Megumi Kagurazaka) hat genug von der Leere ihres Lebens mit einem Mann, der sie wie eine Dienerin hält. Sie sucht sich einen Zeitvertreib. Zuerst als Würstchenverkäuferin. Dann als Model. Dann Pornodarstellerin. Wahllos schläft sie mit Männern. Bis sie Mitsuko kennenlernt, tagsüber Literaturdozentin, nachts Stricherin (Makoto Togashi). Von ihr lässt Izumi sich in die Kunst der Prostitution einweisen. Kurze Zeit später werden weibliche Leichenteile im Rotlichtviertel gefunden. Kommissarin Yoshida (Miki Mizuno) ermittelt. Der japanische Filmemacher Sion Sono bezeichnet „Guilty of Romance“ als Schlussstück seiner Hass-Trilogie (nach „Love Exposure“ und „Cold Fish“). Er erzählt darin die Geschichte einer Frau, die etwas spüren will, bevor sie dreißig wird – und auf ihrer Suche danach, so scheint es, alles aufzugeben bereit ist, was ein lebenswertes Leben ausmacht.

Sono geht dabei vor, wie es seine Art ist: nicht zimperlich. Er zeigt den Beischlaf als etwas, das jeder für sich alleine macht – und für sich selbst. Für Sono liegt darin das Befreiende am Sex. Am besten also mit Fremden. Und für Geld. Von dort ist es nur ein kleiner Schritt, bis alle Hemmungen verflogen sind. Kurz vor Schluss sieht man Izumi schamlos vor den Augen zweier Kinder auf die Straße urinieren. Ist das die Befreiung des Selbst? Oder seine Auslöschung? Sono führte vor dem Dreh Gespräche mit Frauen, die sich im Schatten ihres bürgerlichen Lebens freiwillig prostituieren. „Guilty of Romance“, sagt er, sei voller Liebe zu den Frauen. Aber wenn er Izumis Weg von der Heiligen zur Hure ausgerechnet in der Bildsprache des japanischen „Pinky Violence“, also eines Exploitation-Genres, aufbereitet, wiederholt er da nicht nur alte Männerfantasien?

Wenn es einen roten Faden gibt, der sich durch Sonos Schaffen zieht, dann dieser: Gezeichnete und Perverse sind die eigentlich Freien. In Sonos Kosmos geht es also nicht um Heilung. Sondern um Lossagung. Insofern versteht er Izumis Verwandlung durchaus als Triumph. Wer diesen weiten Weg mit Sono nicht mitgehen mag, wird wenig Freude haben an diesem Film. Doch selbst seine schwächeren Filme, und „Guilty of Romance“ ist einer davon, sind sehenswert. Sonos Erzählweise gleicht eher einer Spirale als einer Abfolge von Akten; bestimmte Sequenzen setzt er wie Schwerpunkte, an denen der Sog sich verstärkt, Bilder sich einbrennen. „Guilty of Romance“ ist kalkuliert und improvisiert, engagiert, aber kalt, intellektuell, albern, berauschend und nihilistisch. Allerdings: So ein psycho-sexuelles Potpourri muss dann auch ein Ritt sein, von dem man sich mitreißen lassen kann. Ganz so, als explodiere die Handlung gerade jetzt, da man im Kino sitzend die Augen offen hat. In „Love Exposure“, seinem vierstündigen Opus magnum (Berlinale 2009), gelang das auf faszinierende Weise. Gleiches lässt sich von „Guilty of Romance“ nicht sagen. Sebastian Handke

Babylon Mitte, Brotfabrik, Eiszeit, Filmrauschpalast Moviemento, Nomadenkino

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