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Kino: Oh, wie schön ist Babylon!

"Es gibt diese Leute hier, und sie sind gefährlich!“ Wilmersdorf krass christlich: Der Filmemacher Paul Donovan und seine Fundamentalisten-Farce „Blissestraße“.

Diese Ausländer, worauf die so alles kommen. Nennen einen Spielfilm „Blissestraße“. Fiele hier doch keinem Menschen ein. Die Blissestraße ist einfach zu langweilig. Ihr einziges Stückchen Exotik ist im Bauch des gleichnamigen U-Bahnhofs verborgen – die verschachtelte Deckenstruktur aus den Siebzigern. Über Tage stehen graue Häuserwürfel, ein kroatisches Restaurant, ein Reformhaus, Sawade-Pralinen, ein Blumenladen, ein Brillenstudio, die Sparda-Bank, eine Frau mit Einkaufsbeutel, ein Mann mit Hut. Mit schwarzem Strohhut? Ja, das ist er: Paul Donovan.

Ein spilleriger Typ mit Sonnenbrille, Bärtchen, Karosakko und dem verschmitzten Lächeln, das nur ein Ausländer haben kann, der seinen mit New Yorker Schauspielern in englischer Sprache gedrehten deutsch-kanadischen Film nach dieser Straße in Wilmersdorf nennt. Er sei die Blissestraße viele Male abgelaufen, sagt er. Und? „Sie ist ein bisschen langweilig.“ Kein Wunder, dass kaum eine Szene in 100 Filmminuten in der namensgebenden Straße spielt.

Der Versuchung, seine krasse Christen-Farce über eine Gruppe fundamentalistischer Missionare aus Amerika so zu nennen, ist er trotzdem erlegen. Einmal, weil ihm vor ein paar Jahren ein Trupp Missionare am Sophie-Charlotte-Platz eine Einladung in ihren kargen Versammlungsraum in eben dieser Straße in die Hand drückte. Und zweitens, weil es kein Zufall sein kann, dass in Blissestraße das englische Wort für Seligkeit – „bliss“ – steckt.

Donovan ist 57, Regisseur, Autor und Produzent, ein Kanadier aus Halifax mit einer Wohnung in Schöneberg, wo er seit einigen Jahren mal mit mal ohne Familie ein paar Monate im Jahr lebt. Zusammen mit seinem Bruder Michael hat er viele Jahre die Produktionsfirma Salter Street Films betrieben, die etwa Michael Moores Oscar-prämierte Dokumentation „Bowling for Columbine“ und die auch im deutschen Fernsehen ausgestrahlte Science- Fiction-Serie „Lexx – The Dark Zone“ produzierte. Daran hat er ab 1994 in Babelsberg mehrere Jahre lang als Drehbuchautor und Produzent gearbeitet.

Nicht dass „Blissestraße“ sehr viel mit dieser abgespacten, derb humorigen und hart am Rande des Trashs navigierenden Weltraumsaga zu tun hätte, aber die Wahl der erzählerischen Mittel ist genauso unzimperlich: Sex, Lügen, Mord, Verstopfung – alles drin. Und dazu jedes Klischee, jede Neurose, die man bei verklemmten Puritanern und homophob-homophilen Orthodoxen je vernommen oder vermutet hat. Farce hin oder her, Paul Donovan findet nicht, dass er mit der Figur des schwulen Schwulenhassers Pastor William, der seine Jünger mit bizarren Geboten schurigelt und Berlin als sündiges Babylon ansieht, übertreibt. „Es gibt diese Leute hier, und sie sind gefährlich“, sagt Donovan, der das 500 000-Euro-Budget selbst finanziert hat, damit ihm niemand seinen Stoff und seine Inszenierung zerredet. Der Schalk in seinen Augen erlischt. Der Mann ist wirklich besorgt über den christlichen Fundamentalismus. 50 Millionen Anhänger habe er allein in den USA, sagt er, Tendenz wachsend. Auch wenn sein Film streckenweise eine schräge Posse ist, das Anliegen ist ernst: „Ich will was gegen diese Fanatiker tun.“ Ob das mit so einem Film funktioniert? Den gucken doch eh keine Fundis. Das sei nicht sicher, schüttelt Donovan den Kopf. Er träumt davon, dass ihn zufällig ein paar Amis auf DVD sehen, in dem irren Pastor ihren eigenen bigotten Pfarrer erkennen, mit der instrumentalisierten Religiosität aufhören und ohne Kleider zum Feiern nach Las Vegas fahren. Klingt plötzlich irgendwie schlüssig, wenn er das erzählt. Toi, toi, toi, dass das funktioniert.

Was dem Filmpastor sein Gebetsmühlen-Spruch „Berlin ist Babylon“, ist Paul Donovan dessen Umkehrung: „Für mich ist Berlin eine der letzten Festungen liberalen Denkens“. Nicht New York nicht London? Schon lange nicht mehr, winkt er ab. Da gebe es öffentliche Räume voller Kameras und jede Menge absurder Verbote. In Berlin könne man sich an einem U-Bahn- Kiosk noch ein Bier kaufen, in New York sei das völlig ausgeschlossen. Die Deutschen hätten ja immer ein Problem damit, sich selbst zu mögen, zürnt Donovan, der die Sprache von seiner Frau, einer deutschstämmigen Kanadierin gelernt hat. Die würden sogar das geborgte „Happy Birthday“ als Geburtstagslied singen, statt eins ihrer eigenen Lieder. Aber für ihn sei Berlin die absolute Lieblingsstadt, unter allen Metropolen der Welt. „Ich kann das sagen, ich habe den Draufblick.“

Diese Ausländer, wie die immer so unverblümt ihr Lob raushauen. Käme hier doch keiner drauf. Aber, orakelt Donovan, „die süßen Zeiten in Berlin sind jetzt“. In zehn, 15 Jahren sei die Stadt vielleicht kein bisschen anders als London. Da trifft es sich gut, dass er ihr ganz old school ein Zelluloid-Denkmal in 35 Millimeter setzt. Von den Kolonnaden am Kleistpark über den Sozialpalast in der Goebenstraße zum Nollendorfplatz an die Spree, nach Kreuzberg, raus zum Plänterwald und runter zwischen die Gleise einfahrender Züge. Sein Geheim-Berlin nennt Donovan das, ein Hinterzimmer-, kein Vorderhaus-Berlin. Nicht zu vergessen das Hinterhofkonzert. Die märchenhafte Filmszene zeigt die versnobte Weihnachtsparty der Schwulen-WG, die den stark verwirrten Amis in der missionierungsresistenten Stadt zur Zufluchtsstätte wird.

Tolle Konzerte in Höfen und Kellern, auch das sei für ihn typisch Berlin, hebt Donovan schon wieder mit dem Süßholzraspeln an. Nicht zu bremsen der Mann, so völlig ironiefrei, dabei ist er doch Filmsatiriker. „Dies ist eine Stadt der Musik“, sagt er. Das stimmt. Am Nebentisch im Selbstbedienungscafé neben dem Blumenladen am U-Bahnhof Blissestraße dudelt ein Handy.

Lichtblick Kino, Kastanienallee 77, Prenzlauer Berg, Sa-Mo/Mi 20 Uhr, Di 22.30 Uhr. Vorführung in Anwesenheit von Regisseur und Team: Sa 21.4., 20 Uhr.

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