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Kino: So weit der Tank reicht

Querulanten unterwegs: In "Die Schimmelreiter" gibt Axel Prahl endlich einmal den Fiesling.

Roadmovies handeln vom Unterwegssein und vom Versuch, beim Unterwegssein einen Platz in einer Welt zu finden, die unendlich groß zu sein scheint. Gemeinhin spielen sie auf amerikanischen Highways, wo sich die Helden tagelang fortbewegen können, ohne irgendeinem Ziel auch nur ansatzweise näherzukommen. „Die Schimmelreiter“ ist das erste Roadmovie, das im Dithmarscher Land angesiedelt ist, einem Landstrich zwischen Nordsee, Elbe und Nord-Ostsee-Kanal. Hier ist die Welt vor allem eins: endlich. Selbst für den allergrößten Trip reicht eine halbe Tankfüllung.

Fuchs, Held 1 des Films, muss ohne Vornamen auskommen, dafür ist ansonsten alles eine Nummer zu groß an ihm: seine Klappe, sein Auto, seine Träume. Er klopft Sprüche wie „Komm rein, kannste rausgucken“, fährt einen highwaykompatiblen 57er Buick mit hellblauer Karosserie und malt sich eine Karriere als „Kiez-König“ von Hamburg aus. Vorerst muss er mit seinem Heckflossen-Oldtimer allerdings noch die plattdeutsche Provinz gurken und als – so sein Selbstlob – „Lebensmittelkontrolleur aus Leidenschaft“ die Einhaltung der Hygienebestimmung in Imbissstuben überwachen. Um seinem Ziel vom Job in der Metropole näherzukommen, hat er Tilmann dabei, Held 2, den Bruder des Hamburger Behördenchefs, der eigentlich nur eine Nacht bei ihm unterkommen sollte.

Tilmann ist das genaue Gegenteil von Fuchs: ein misanthropischer Besserwisser, der Kneipenwirten gerne die Unterschiede von korinthischen und dorischen Säulen erläutert. Zusammen bilden sie ein klassisches Odd Couple, das sich erst nicht ausstehen kann, sich dann aber doch – so fordern es die Kinogesetze – näher kommt. Fuchs stilisiert sich mit Lederjacke und Entenschwanztolle zum Westentaschen-Elvis, war aber, wie er kleinlaut gestehen muss, noch nie im Ausland. Und Tilmann, der Bescheidwisser, hat keinen einzigen seiner angefangenen Studiengänge abgeschlossen. Traum und Wirklichkeit stoßen in „Die Schimmelreiter“ hart aufeinander. Für eine Komödie ist das keine schlechte Voraussetzung.

Ursprünglich war Axel Prahl, der in Ostholstein aufwuchs, als Fuchs besetzt und der Hamburger Thalia-Theaterstar Peter Jordan als Tilmann. Unmittelbar vor Drehbeginn tauschten sie die Rollen, weil Prahl sagte: „Ich will den anderen spielen.“ So kam der Schauspieler, der als kumpelhafter Münsteraner „Tatort“-Kommissar zum Publikumsliebling aufstieg, zu seiner bislang unsympathischten Figur. Den Fiesling gibt er mit Hingabe. „Du sabbelst sentimentale Scheiße“, pöbelt er seinen Kompagnon an, und einen griechischen Restaurantinhaber fordert er bei der Inspektion auf: „Zeigen Sie mal Ihren Ouzo“, um die Flasche gleich einzustecken. Dieser saufende, koksende und prügelnde Querulant – man ahnt es bald – tritt um sich, weil er selbst zutiefst verletzt wurde.

In seiner Figurenkonstellation erinnert „Die Schimmelreiter“ an Josef Haders rabenschwarze Komödie „Indien“, wo ebenfalls zwei verquere Lebensmittelkontrolleure über die Dörfer fuhren. Doch bei Regisseur Lars Jessen, der schon mit „Am Tag als Bobby Ewing starb“ und „Dorfpunks“ sein Talent für Stoffe aus der norddeutschen Provinz bewies, ist der Witz noch lakonischer. Statt seinen ohnehin wortkargen Figuren lange bei ihren Versuchen, ihre Gefühle zu artikulieren, zuzuhören, schneidet er lieber gleich – wie bei einer Aussprache zwischen Fuchs und Tilmanns Familie - auf die Abschiedsszene.

Manchmal reicht es auch einfach, die Kamera dabei zuschauen zu lassen, wie sich aus der Kombination von Feierlaune und Alkohol der Wahnsinn entwickelt. Da eskaliert eine deutsch-chinesische Hochzeit dann zum feuchtfröhlichen Clash of Cultures mit Spontanpolonäse und Schlüpfertanz. Eine Szene, in der Fuchs seiner von Katharina Wackernagel gespielten Kollegin beim Hotelfrühstück eines Liebeserklärung zu machen versucht, ist reinster Slapstick von Loriotscher Güte. Nur dass auf seiner Stirn statt einer Nudel ein Schild mit der Bezeichnung „Wurstkopp“ klebt. Das hatte, logisch, Tilmann dort hingeklebt.

In Berlin im Babylon Mitte, Filmkunst 66, International und Neuen Off

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