zum Hauptinhalt

Kino: Wie geht's eigentlich dem 3-D-Film?

Völlig losgelöst: Eine Bilanz der digitalen Kinotechnik 2011, mit Ausblick auf die Leinwandspektakel des nächsten Jahres, von "The Amazing Spider-Man" bis zu Martin Scorseses "Hugo Cabret".

„Bereit, Gott zu spielen?“, fragt einer den Helden. Der Junge wurde gerade von einer mutierten Spinne gebissen und entwickelt übermenschliche Kräfte. Wir sehen die Welt durch seine Augen: New York, hoch oben, es geht über Wände und Dächer, dann nach unten … ZING! Ein ballistischer Effekt. Der Zuschauer ist die Kugel, von der Kamera abgeschossen. Wir sind drin, mitten im Bild. Immersion nennt man das, ein Modewort, dabei bezeichnet es nur das, worauf die Vergnügungsindustrie aus ist, seit die erste Achterbahn in den Sand von Coney Island gesetzt wurde.

„The Amazing Spider-Man“ startet im Juli 2012, der Trailer läuft seit Wochen. Es ist die erste 3-D-Verfilmung des Marvel-Comics, und nicht nur der Superheld spielt hier ein bisschen Gott, sondern auch das Kino. Das ist seit einigen Jahren im Begriff, sein und unser Verhältnis zur Wirklichkeit neu zu justieren. Wenn Godards Diktum, Film sei „Wahrheit 24-mal pro Sekunde“, schon immer eher charmant als erhellend war, so wird irgendwann vielleicht nicht mal mehr sein „sachlicher“ Anteil haltbar sein: Peter Jackson nimmt seinen „Hobbit“ bereits bei einer Laufgeschwindigkeit von 48 Bildkadern in der Sekunde auf. Höchste Zeit, dass wir uns daran gewöhnen, nicht mehr von Film oder Kino zu sprechen, sondern von Bildern und Tönen, die auf unterschiedliche Weise organisiert werden können.

Die Veränderung der 24er-Formel wird aktuell von Regisseuren wie Jackson und James Cameron erprobt, um dem 3-D-Format seine Kinderkrankheiten auszutreiben. Das ist vielleicht der typischste Zug dieser Technik, die das Kino-Thema 2011 war und etwa mit den 3 -D-Neufassungen von „Titanic“ (im April) und „Star Wars: Episode 1“ (im Februar) auch 2012 für Diskussionen sorgen dürfte. Für sich genommen ist sie weniger interessant als in ihrer Funktion als Katalysator und Verstärker. Zweifellos kann man an vielen 3-D-Produktionen, besonders an den nachträglich hochgerechneten, herummäkeln und anmerken, dass der Anteil der 3-D-Kopien am Einspielergebnis von Familien-Blockbustern schon wieder sinkt. Aber das Format ist nun einmal der Hebel, mit dem die Digitalisierung durchgesetzt und das Kino in die neue Medienwelt eingepasst wird: eine „Killer-App“, wie der Filmwissenschaftler David Bordwell schreibt.

Der Kopfschmerz und das Schwindelgefühl, die das dreidimensionale Bild bei manchen Zuschauern auslöst, lassen sich so gesehen als Symptome einer lang dauernden Entwicklung diagnostizieren, die den Film von seinem alten Trägermedium und seinem „natürlichen“ Abbildcharakter – als Reflex des Lichts, das die Gegenstände auf eine chemisch behandelte Oberfläche zurückwerfen – löst. Kopfschmerz und Schwindel sind Nebenwirkungen eines Kinos, das in seiner künstlerischen wie in seiner populären Variante davon träumt, die Beschränkungen des Realen hinter sich zu lassen. Es will Bilder erschaffen, wie Michelangelo an der Decke der Sixtinischen Kapelle den göttlichen Funken auf Adam überspringen ließ: malerisch und frei, aus der Hand in das Nichts eines weitgespannten Himmels.

Zu den Produktionen, die dabei in den letzten 30 Jahren wegweisend waren, gehören „Star Wars“ mit der computergesteuerten Kamera und dem Dolby-Raumklang, „The Abyss“ und „Terminator 2“ mit dem Morphingverfahren, die „Herr der Ringe“-Filme mit ihrem motion capturing und einer Software, die fiktive Massen choreografiert, sowie „Avatar“ mit seiner neuen 3-D-Technik.

Das Kino kann heute fast alles simulieren. Niemand muss mehr austüfteln, wie man einen Schauspieler schrumpft, eine Flotte vor Troja ankert oder ein Blatt auf einer vorgezeichneten Bahn zu Boden segeln lässt. Diese technische Umwälzung ist wohl einer der Gründe, warum Hollywood seit der Jahrtausendwende ständig Comics verfilmt. Es sucht die Nähe zum Grafischen, „Sin City“, „300“ oder „Die Abenteuer von Tim und Struppi“ sind da schon ziemlich weit gekommen.

Das malerischste unter all diesen Instrumenten ist die CGI, die Bilderzeugung per Computergrafik, und viele der irritierenden Sensationen, die man dem 3-D-Verfahren anlastet, gehen aufs Konto digitaler „Environments“, von Sets und Dekors, die nicht gebaut, sondern am Computer errechnet sind. Das funktioniert so gut, dass man sich im Einzelnen oft gar nicht fragt, woraus die Wand besteht, an die sie uns in „The Amazing Spider-Man“ klatschen, oder ob der Louvre, in dem „Die drei Musketiere“ unterwegs sind, nun echt ist oder nicht (ist er, aber es ist nicht der Louvre). Irgendwann hat jedoch der Fluch des arbeitslosen Stuckateurs das Kino getroffen. Das Gefühl, dass der Blockbuster „substanzloser“ und ausgerechnet der Actionfilm immer unkörperlicher wird, machte sich 2011 besonders unangenehm bemerkbar.

Von Douglas Fairbanks bis Jackie Chan gehört es zu den besonderen Reizen des kinetischen Films, zu zeigen, wie der Mensch über die Objektwelt triumphiert und, buchstäblich wie im übertragenen Sinn, Mauern überwindet – selbst wenn sie nur aus Pappe sind. Die Helden des aktuellen Kinos scheinen dagegen jeden Bezug zur Materialität verloren zu haben. Sie sind allesamt lost in space, irren in „Transformers 3“ zwischen nicht existierenden Monstermaschinen herum, führen Schattengefechte in Kunsteislandschaften wie „Thor“ oder hangeln sich durch Städte, die den Appeal eines Wimmelbildbuchs für Vorschulkinder aufweisen – wie in der neuen Sherlock-Holmes-Serie.

Der Drang zum digitalen Set nimmt diesen Filmen jeden Schwung. Man sieht den unfokussierten Augen der Schauspieler oft an, dass sie in einem Studio vor der Greenscreen stehen, und man spürt es am Rhythmus: Sogar die Fechtszenen in den „Fluch der Karibik“-Filmen, die nun wirklich nicht perfekt sein müssten, wirken oft merkwürdig schwerfällig. Natürlich arbeitete auch das klassische Kino mit künstlichen Elementen, mit Hintergrundmalerei und Rückprojektion. Aber Howard Hawks hat für „Red River“ 5000 echte Rinder vor die Kamera getrieben, und jedes einzelne Tier war sein Futter wert. Selbst wenn man den Film auf DVD wiedersieht, meint man, sie atmen zu hören und die Erschöpfung der Cowboys zu spüren.

Das 3-D-Verfahren sollte uns dieser sinnlichen Erfahrung eigentlich näherbringen. Aber in seiner populärsten Spielart als Effekt in einem Kino, das von Schlümpfen auf Speed bevölkert wird, betont es nur das Theaterhafte und die Ortlosigkeit von allem und jedem. Bezeichnenderweise wird die Technik bereitwilliger akzeptiert, wenn sie dem Realen verbunden bleibt, wie in den Konzertfilmen, die ihren Anteil am 3-D-Boom haben. Oder wie in „Pina“ von Wim Wenders und Werner Herzogs „Höhle der vergessenen Träume“, Dokumentationen, die als gelungene 3-D-Anwendungen betrachtet wurden. In beiden Filmen ist unentfremdete Arbeit aufbewahrt, sie setzen auf emphatische Weise etwas ins Bild, das uns abhanden zu kommen droht: das Glück, das schöpferische, spielerische Tätigkeit stiftet, sei es die Malerei der Höhlenmenschen oder das Körpertraining von Pina Bauschs Tanzkompanie.

Wenders hat dabei nicht zufällig 3-D als das neue, aufregende Verfahren im dokumentarischen Bereich annonciert. Herzog meint, die Technik sei nur für die eine konkrete Studie passend gewesen. Zugleich legt er aber in der „Höhle der vergessenen Träume“ eine interessante kunsthistorische Spur aus. Hat nicht auch die Malerei immer gerne aus der Fläche in den Raum hinein experimentiert? Die Linie führt von Herzogs prähistorischen Künstlern, die natürliche Vorsprünge und Vertiefungen im Felsen zur Dynamisierung ihrer Bilder nutzten, über die Trompe- l’œil-Tricks der Renaissance bis zum italienischen Künstler Lucio Fontana, der die Leinwand aufschlitzte.

Vielleicht wird dank Martin Scorsese, dessen „Hugo Cabret“ in den USA bereits als Durchbruch gefeiert wird (deutscher Start: 9. 2.), 3-D ja zu einer seriösen Option im Spielfilmbereich. Jedenfalls sollte man sich von der Idee verabschieden, dass da eine böse Technik unser Kino ruiniert. Kein Film, wie abstrakt er auch wirken mag, kommt am Ende von der Wirklichkeit los, jeder entwirft ein Modell von Welt, ein Modell der Beziehungen, die wir miteinander und mit den Dingen eingehen. Deshalb ist jede technische Entscheidung auch eine inhaltlich bedeutsame.

Das sollten die Herren der GreenscreenTechnik bedenken. Denn das aktuelle 3-D-Kino ist vor allem geeignet, uns für ein künftiges Leben im Holodeck zu präparieren, für eine Welt, in der die körperliche Arbeit ausgeblendet und jede Handreichung von der allgegenwärtigen Elektronikindustrie gesteuert ist. Schon jetzt können wir uns in den dislozierten Gestalten auf der Leinwand selbst erkennen. Der torkelnde Pirat Jack Sparrow, der rasende Sherlock Holmes – das sind wir, wie wir zu Hause vor der Wii-Konsole im Takt von „Dance Central“ zucken oder auf imaginäre Tennisbälle eindreschen.

In dieser Welt sieht dann auch die Sixtinische Kapelle anders aus. Tarsem Singh hat sie, ausgerechnet, in der Schlusseinstellung seines trashigen, in digitalem Kitsch gebadeten Sandalenfilms „Krieg der Götter“ nachgemalt. Da gleitet der Blick der Kamera aufwärts, in einen Himmel, der, blau und mit fluffigen Wolken, durchaus kunsthistorisch aufgeladen scheint. Es ist freilich kein Adam, der hier in eine neue, menschlichere Zeit entlassen wird, und wenn das Ganze ein „Jüngstes Gericht“ sein soll, fehlt der Erlösungsteil. Vielmehr treiben da Männer, Waffen und Pferde freischwebend umher, auf ewig verknäuelt in blutigem Gemetzel. Als ob der Sinn des Universums im Kriegführen bestünde. Bereit, Gott zu spielen? Lieber noch ein bisschen üben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false