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© Sony Pictures

2012: Apokalypse Wow!

Der Hund der Queen überlebt: Roland Emmerichs ultimatives Weltuntergangsspektakel "2012" erlebt am Sonntag in Berlin seine Europapremiere.

Der Riss geht mitten durch die Decke der Sixtinischen Kapelle, zwischen Gottvater und Adams Finger hindurch – die Verbindung zwischen Schöpfer und Schöpfung ist unterbrochen.

Der Riss geht mitten durch den Supermarktgang, zwischen Nudelpackungen und Cornflakes. Er geht durch Vorgärten und Strandpromenaden, durch Bürogebäude und Nationalparks. Er geht durch Familien, er geht durch Regierungen, er geht durch die ganze Welt.

Für Risse, sagt eine Figur im Film, ist eigentlich mein Schönheitschirurg zuständig. Doch kein Schönheitschirurg der Welt kann diesen Riss mehr kitten.

„2012“, das neue Filmspektakel von Roland Emmerich, das am morgigen Sonntag in Berlin seine Europapremiere erlebt und am Donnerstag in den Kinos anläuft, beginnt mit einem Riss und endet mit einem Weltbeben – und verfolgt dabei das Motto: Mit Höchstgeschwindigkeit starten und dann rasant beschleunigen. Das zeigt sich schon in der Wahl der Fortbewegungsmittel. Erst laufen die Menschen zu Fuß dem Erdbeben davon, dann fahren Autos über die wegbrechende Straße, unter dem zusammenstürzenden Freeway hindurch, ein Kleinflugzeug hebt ab über dem im Meer versinkenden Los Angeles, taucht gerade noch zwischen einstürzenden Hochhausbauten durch, über den aufbrechenden Sankt-Andreas-Graben hinweg, und schließlich findet eine russische Antonov 500 im Blindflug den Weg durch Vulkanasche und brennende Inseln ins chinesische Bergland, zur Notlandung ins Gletschereis.

Als am Ende eine Stahlarche mit den Überlebenden der Katastrophe über das neue Weltenmeer geradewegs auf eine Kollision mit dem Mount Everest zusteuert, würde man längst jedes Rettungsfahrzeug akzeptieren. Ein Raumschiff ist seltsamerweise nicht vorgesehen. Dabei wäre der Mars wahrscheinlich der einzig sichere Ort gewesen.

Was spektakuläre Schauwerte angeht, hat Roland Emmerich mit seinem Weltuntergangsfilm „2012“ neue Maßstäbe gesetzt. Reichte es für den Vorgänger „The Day after Tomorrow“ noch, ganz New York von einer riesigen Flutwelle überrollen und alsdann von einer Eiszeit schockgefrieren zu lassen, bietet „2012“ von den Effekten her eine Kombination, ja Steigerung von „Titanic“, „Volcano“, „Twister“ und „The Day after“ zusammen. Was kann eigentlich noch passieren? Ein Vulkanausbruch im Yellowstone Nationalpark, ein Tsunami im Indischen Ozean, die pazifische Platte, die sich samt der Millionenstadt L. A. ins Meer senkt, ein Meer, das ganze Kontinente überflutet, selbst der Südpol hat sich verschoben und liegt nun irgendwo in Wisconsin. Die Rettung nach dem Untergang liegt zukunftsweisend in Afrika.

Kompliment an die Tricktechnik: Es wird nicht gekleckert, sondern geklotzt, mit Katastrophenszenarien zu Wasser, zu Luft und im Feuer, in denen die Spezialeffekte endlich mal nicht billig aussehen, sondern so teuer, wie sie bei einem Produktionsbudget von 260 Millionen Dollar wohl auch waren. Gigantische Ozeandampfer werden von Riesenwellen einfach umgestülpt, Aschewolken vergiften ganze Städte, Riesenkrater klaffen, wo Sekunden zuvor noch Hochhäuser und belebte Straßen waren, das Washington Monument erschlägt fast den amerikanischen Präsidenten, und beim hastigen Abflug wird mal eben der Eiffelturm gestreift. Ganz zu schweigen vom Petersdom, der sich wie eine Riesenglocke auf den Petersplatz und die dort betenden Menschen legt – es scheint, als habe Roland Emmerich, der Europäer in Hollywood, besonderen Spaß daran, die alteuropäische Kulturgeschichte mal eben mit zu erledigen.

Wie auch anders? Was passiert, folgt einer uralten Weissagung der Majas und ist keine Erfindung, sondern Prophezeiung. Der Maja-Kalender endet am 21.12.2012. Dieses Datum, so versichern selbst ernstzunehmende Wissenschaftler, markiert zwar nicht das Ende der Welt, so doch das Ende einer Weltenepoche. Roland Emmerich wäre nicht der Ökoaktivist, der er ist, wenn er das Weltenende nicht mit einer ökologischen Katastrophe begründen würde. Die größte Sonnenexplosion aller Zeiten erwärmt den Erdkern so sehr, dass die Erdkruste instabil wird, aufbricht und sich zu verschieben beginnt. Und all das hat ein armer indischer Wissenschaftler entdeckt, dem seine Erkenntnis leider nicht das Leben retten kann.

Stattdessen steht eine ganz normale Familie im Zentrum des Films: Vater Jackson (John Cusack) hat so lange an seinem Buch „Farewell Atlantis“ getüftelt, dass seine Frau Kate (Amanda Peet) ihn irgendwann mit den beiden Kids für den Schönheitschirurgen Tony (George Segal) verlassen hat. Nun versucht Jackson, das Verhältnis zu seinen Kindern wieder aufzuwärmen – mit einem Ausflug in den Yellowstone Park, wo er Zeuge der ersten Anzeichen der Katastrophe wird. Für das, was ihm dort der irre Radioprophet Charlie (Glanzrolle für Woody Harrelson) prophezeit, wird das Supermückenmittel, das er gerade für seine Kinder gekauft hat, als Schutz kaum reichen.

Doch weil Weltuntergänge nicht Sache für Alltagsmenschen, sondern Herausforderungen für die höchste Ebene sind, gibt es eine Parallelhandlung im Weißen Haus. Hier setzt der idealistische Geologe Adrian Helmsley (Chiwetel Ejiofor) gemeinsam mit dem abgebrühten Präsidentenberater Carl Anheuser (Oliver Platt) einen weltweiten Notfallplan um, der vor allem die Rettung der eigenen prominenten Haut gewährleistet. Hier kippt Emmerichs ansonsten so lustvoll zerstörerische Untergangsfantasie leider ziemlich schnell ins unangenehm Predigende.

Nicht nur wird der schwarze (!) Präsident Wilson (Danny Glover) – hätte Hillary Clinton die Wahl gewonnen, wäre laut Drehbuch eine Präsidentin vorgesehen gewesen – am Ende lieber bei seinem sterbenden Volk bleiben, statt sich selbst in Sicherheit zu bringen. Auch die Crème de la Crème der Weltgesellschaft, die sich jedes Ticket für die in China gebaute Überlebensarche eine Milliarde Euro (warum eigentlich Euro?) hat kosten lassen, wird nach Adrians leidenschaftlichem Plädoyer für Menschlichkeit am Ende dafür votieren, doch zumindest einige verzweifelte chinesische Arbeiter mit an Bord zu nehmen. Und auch die Corgis der Queen sowie das Schoßhündchen einer russischen Blondine werden angemessen gerettet.

Moment mal: das ganze Theater, zweieinhalb Stunden Zittern und Beben und eine Welt in Trümmern, nur um am Ende zu erleben, wie eine Gruppe von Luxusgeschöpfen und Superreichen gerettet wird, unter denen ein ehemaliger russischer Boxer samt seinen verzogenen Bälgern und die bildhübsche Tochter des Präsidenten, die sich auf der Arche zum ersten Mal normal verlieben darf, noch die freundlichsten Erscheinungen sind?

Der Widerspruch zwischen sterbender Masse, die irgendwann nur noch effekthaschendes Computeranimationsmaterial ist, und einzelnen Sympathieträgern, die zumeist überleben dürfen, ist dem Katastrophenfilm zwar inhärent. Doch hier bleiben, vom indischen Wissenschaftler bis zum tibetanischen Priester, vom Präsidenten bis zum heldenhaften Piloten, etwas zu viele Gute auf der Strecke.

Die These vom Survival of the fittest hat Regisseur Emmerich flugs umgemünzt zu einem Survival of the richest. Das ist dann, so gesehen, durchaus ein Film zur Stunde.

Christina Tilmann

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