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Anime

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Anime: Hüte dich, wo Drachen fliegen

Mit „Die Chroniken von Erdsee“ versucht Goro Miyazaki das Erbe seines Vaters, des Anime-Großmeisters Hayao Miyazaki, anzutreten.

Wie groß ist der Einfluss eines Filmemachers auf ein Werk – zumal im Reich der Animation, wo mehrere hundert Hände dem Film ihre künstlerische Handschriften aufprägen? „Die Chroniken von Erdsee“, das neue Anime des berühmten japanischen Ghibli-Studios, zeigt: Der Einfluss kann überraschend groß sein.

Regisseur Goro Miyazaki ist studierter Landschaftsplaner und außerdem Sohn von Hayao Miyazaki, dem großen Geschichtenerzähler unter den Trickregisseuren („Chihiros Reise ins Zauberland“). Hayao selbst ist alt geworden und ein wenig wunderlich; mehrfach schon kündigte er seinen Abschied in den Ruhestand an und ließ dann doch einen weiteren Film folgen. Der nächste ist bereits in Arbeit. Sohn Goro bereitet sich derweil auf sein Erbe vor und wagt sich nun mit den „Chroniken“ aus der Deckung (er war bislang Geschäftsführer des Ghibli-Museums). Auch er lässt seinen Film von den Ghibli-Animatoren bebildern und greift auf einen Stoff zurück, um den sich bereits der Vater bemüht hatte: die „Erdsee“-Romane der kalifornischen Autorin Ursula K. Le Guin. Anders gesagt: In dieser Anwendung der Erfolgsformel ist Goro selbst die einzige geänderte Variable.

Le Guins Zyklus, vor vierzig Jahren begonnen, könnte geradezu als Materialsammlung für Ghibli-Miyazaki-Filme entworfen worden sein. Le Guin erfindet darin eine fantastische Archipelwelt mit Hunderten von Inselreichen und verleiht ihr ein hohes Maß an historischer, geografischer und kultureller Tiefenschärfe. Die Erzählungen sind, zumindest im Kontext nichtasiatischer Fantasy-Literatur, von einer eher untypischen moralischen Uneindeutigkeit – keine Utopien, sondern Erzählungen im Geiste taoistischer Philosophie.

„Chroniken von Erdsee“ kombiniert Elemente aus mehreren der Romane: In Erdsee häufen sich die Zeichen, dass das Gleichgewicht der Welt gestört ist. Drachen zeigen sich bei hellem Tageslicht, Zauberkräfte schwinden, eine Plage breitet sich aus. Erzmagier Sperber muss die Ursache finden und begibt sich auf eine Reise durchs Reich. Bei seiner Suche triff er auf Arren. Der junge Prinz von Enlad wird von den eigenen Dämonen verfolgt – er hat seinen Vater erstochen. Auf ihrem gemeinsamen Weg müssen Sperber und Arren Abenteuer mit der Geheimpolizei bestehen, mit Drogen- und mit Sklavenhändlern, bevor sie sich der Ursache allen Übels stellen können.

Der Film ist sofort als ein echter Ghibli zu erkennen: da ist wieder diese einzigartige, handgezeichnete Animation mit ihrer delikaten Hingabe an jene Kleinigkeiten, die einen solchen Film erst zu einem Bildgedicht machen. Die ungeschickte Handhabung der Erzählung dagegen hat nichts von dieser Vielschichtigkeit: Das Böse ist nicht in der Welt, sondern wird in einer Figur konzentriert, die erlöst wird, indem man ihr am Ende den Tod schenkt. Diese hygienische Lösung entspricht den Konventionen des Genres, entfernt sich aber weit von Le Guin und den anderen Ghibli-Filmen. Die Diskrepanz zwischen der Schönheit der Bilder und der Einfältigkeit der Erzählung lässt die Abwesenheit des alten Miyazaki schmerzlich spüren: Wenn die besten Filmzeichner unserer Tage eine Vorlage verwandeln, macht es offenbar einen Unterschied, ob ein alter Meister dahinter steht oder ein Forstwirt mit gutem Namen.

Kinowelt Eastgate, Colosseum, Kinowelt Friedrichshain, Zoopalast

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