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Birdwatchers

© pandora

Birdwatchers: Rote Erde, weißes Land

Das Prinzip Entfremdung: Marco Bechis erzählt in "Birdwatchers" packend von den Indios im brasilianischen Mato Grosso.

Es gibt, wenn man so will, einen Showdown in diesem so durch und durch anderen, so unverwechselbaren Film – und er ist archaisch rhetorischer Art. Da treten der weiße Großgrundbesitzer und der Anführer der Indios zum knappen Wortgefecht gegeneinander an: der eine mit Anwälten und Polizei, die sich vor kreuz und quer geparkten Fahrzeugen versammeln, der andere mit seinem zerlumpt gekleideten Clan und der auf einem Feld nahe der Asphaltstraße neu errichteten Plastikzeltsiedlung im Rücken.

Der Indio sagt ruhig, er habe sich mit den Seinen rechtmäßig auf diesem Grund und Boden niedergelassen: „Das ist unser Land, ihr habt es uns nur genommen.“ Der Weiße entgegnet erregt, seit drei Generationen siedele seine Familie hier, und man beackere das Land, damit sich „die Menschen ernähren können“. Die Antwort des Indios? Eine so knappe wie umwerfende Geste: Er bückt sich, klaubt eine Handvoll Erde auf und steckt sie sich in den Mund.

„Terra Vermelha“ (Rote Erde) – unter diesem sehr passenden Titel läuft der Film in Brasilien, wo er auch spielt: im Mato Grosso do Sul an der Grenze zu Paraguay, wo der Regenwald weitgehend gerodet ist, das Ackerland und die Weideflächen planmäßig zernutzt werden und die einheimischen Guaraní-Indios in kümmerlichen Reservaten leben. Fünf Millionen zählten sie vor Jahrhunderten, bevor die Spanier und die Portugiesen den Kontinent an sich rissen, heute gibt es noch rund 40 000 von ihnen. Entfremdet vegetieren sie in den ihnen von der Regierung zugewiesenen „Schutzgebieten“, eingepfercht zwischen Stacheldrahtzäunen, und arbeiten als moderne Sklaven auf den Gensoja- und Zuckerrohrplantagen – geplagt von Alkoholismus, Depressionen und einer der höchsten Selbstmordraten der Welt.

Mit einem Doppel-Suizid auch, zwei junge Frauen haben sich an Bäumen aufgehängt, beginnt der Film. Gerade kehrt die Sippe von einem jener demütigenden Aufträge zurück, mit denen sich beim Grundbesitzer etwas Geld hinzuverdienen lässt: Für Touristen, die im Motorboot herangetuckert kommen, geben sie die am Flussufer stehenden halbnackten Wilden mit Pfeil und Bogen – und ziehen, Karikaturen ihrer Vergangenheit, nach stumm vollzogener Show schnell wieder Shorts und T-Shirts über. Nach diesen Touristen auch ist, reichlich irreführend, der Film für den Weltmarkt benannt. Sogar die exotischen Vögel, die sich die „Birdwatchers“ für ihre Fotosafari wünschen, kriegen sie allenfalls noch bei einer Dia-Show zu sehen.

Nicht die Touristen, nicht die weißen Herren, sondern die Guaraní sind die Hauptfiguren dieses mitunter fast dokumentarisch anmutenden Werks, und Regisseur Marco Bechis drehte es mit ihnen und ganz und gar für sie. Der Guaraní-Indio Ambrósio Vilhalva spielt Nádio, der seine Sippe aus dem Reservat und in die „retomada“ führt – die Wiederinbesitznahme ihres gestohlenen Landes. Und er spielt damit ein Stück seines eigenen Lebens, als er jahrelang das Feld eines Weißen besetzte und dort ein Hüttendorf baute. Doch bei aller Ergründungssorgfalt für die Nöte der Ureinwohner: „Birdwatchers“ ist kein parteiliches Pamphlet, sondern erzählt spröde, authentisch, elliptisch, packend vom kranken Nebeneinander der Indios und der Weißen im Mato Grosso do Sul.

Dabei erscheinen die Guaraní durchaus nicht in simpel rosigerem Licht als ihre Widersacher. Da verstoßen Väter ihre Söhne, bloß weil die sich von kargem Lohn ein Paar Sneakers gekauft haben; da sind verschmähte Liebhaber gegen Geld mal eben zu tödlichem Verrat fähig, und selbst das Vorbild Nádio ist ein hoffnungsloser Trunkenbold. Und die in ihrem großen Haus mit Pool unter der Tropenhitze dahindämmernden Reichen – die Atmosphäre erinnert faszinierend an die familiensystemische Morbidität aus Lucrecia Martels „La ciénaga“ – wirken wie selber vom Genuss ihrer widerrechtlich erworbenen Privilegien angefault, zerfressen und kaputt.

Allein die sexuelle Anziehung überwindet ab und zu die allseitige Tristesse und Lethargie. So macht sich eine Indio-Frau erfrischend drastisch an einen weißen Aufpasser heran, der als „Vogelscheuche“ in einem Wohnwagen unweit der Zeltsiedlung haust. Und ein NachwuchsSchamane lässt sich von der Einübung in die Riten nur zu gerne ablenken, wenn die halbwüchsige Tochter des Gutsbesitzers auf ihrem Moped zur Flussbadestelle braust. Aber ein, zwei große Grausamkeiten weiter ist auch dieser Anflug von Liebe vorüber, und alles mündet in Schrecken und durchdringendes Schreien.

Marco Bechis, der während der Militärdiktatur in Argentinien aufwuchs, inhaftiert wurde, nach Italien emigrierte und dort seit knapp 30 Jahren lebt, kommt von seiner alten Heimat ausdrücklich nicht los. Er drehte, etwa mit „Garage Olimpo“ (1999), erschütternde Filme über Folter und Diktatur – und wurde nun durch die NGO „Survival International“ auf die Lebensbedingungen der Guaraní aufmerksam. „Die seit 500 Jahren andauernde Eroberung Amerikas fordert immer noch Opfer“, sagt er. „Von ihnen sollte mein Film handeln.“

Mit seinen Laiendarstellern trainierte der Regisseur monatelang. Ihrer Tendenz, vor der Kamera viel zu viel zu reden, begegnete er, indem er ihnen Szenen aus Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ und Hitchcocks „Die Vögel“ zeigte. So erkannten sie die Wirkung des Schweigens und des Blicks im Kino. Bechis ist überzeugt, diese Arbeit hat verhindert, dass die Indianer sich auflehnten oder gar wegliefen – so wie es Werner Herzog einst beim Dreh zu „Aguirre“ oder „Fitzcarraldo“ widerfahren war.

Uraufgeführt übrigens wurde „Birdwatchers“ letzten Herbst in Venedig: Der fulminante Kritikererfolg galt als Favorit. Am Ende holte der Film keinen einzigen Preis – offenbar, weil Hollywood-Regisseur John Landis, der Amerikaner in der Jury, ihn für rassistisch hielt. Nichts dümmer als das.

Broadway, FT Friedrichshain, Moviemento; OmU im fsk am Oranienplatz und in den Hackeschen Höfen

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