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CITY Lights: Blut lecken

Frank Noack erforscht politische und andere Ausbeutungsstrukturen.

Voller Entsetzen blickte die westliche Welt im Dezember 1989 nach Rumänien, wo Staatspräsident Nicolae Ceausescu das Feuer auf Demonstranten und Kinder eröffnen ließ. Auf das Entsetzen folgte Erleichterung, als der Diktator und seine Frau Elena standrechtlich erschossen wurden. Auf die Erleichterung folgte das Vergessen – in der westlichen Welt. Nur selten lenkte ein kulturelles Ereignis den Blick auf dieses Land, ein Film wie „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ zum Beispiel, oder der Literaturnobelpreis an die Rumäniendeutsche Herta Müller. Daher verdient Alexandru Solomons Dokumentarfilm The Great Communist Bank Robbery besondere Aufmerksamkeit (heute, Rumänische Botschaft, Dorotheenstr. 62-66). Er erinnert an den größten Bankraub in der Geschichte Rumäniens, bei dem vor 50 Jahren rund 1,6 Millionen Lei erbeutet worden sind, was 5000 Gehältern entsprach. In einem Schauprozess saßen keine Kriminellen, sondern jüdische Intellektuelle auf der Anklagebank. Kurios an dem Verfahren war, dass die Angeklagten ihre vermeintlichen Taten vor laufender Kamera rekonstruieren mussten. Solomons Film stützt sich auf einzigartiges, Unbehagen erzeugendes Archivmaterial. Im Anschluss gibt es eine Podiumsdiskussion, an der auch der Schriftsteller Mircea Cartarescu teilnimmt.

Nach ihrem Tod wurden die Ceausescus zu Vampiren stilisiert, die ihr Volk nicht nur symbolisch ausgesaugt, sondern tatsächlich Blut von kleinen Kindern abgezapft hätten. Das erinnert an die Legende der ungarischen Gräfin Erzsébet Báthory, die im Blut von Jungfrauen gebadet haben soll, um ewige Jugend zu erlangen. In der jüngsten Bearbeitung des Themas, dem Europuddingfilm „Die Gräfin“, konnte sich Julie Delpy nicht zu einer klaren Haltung durchringen; sie ließ es offen, ob Báthory eine Serienmörderin war oder nur von neidischen Männern verleumdet wurde. Dermaßen politisch korrekt ging der Belgier Harry Kümel nicht vor, als er sich 1971 des Stoffes annahm. Blut an den Lippen ist ein hemmungslos dekadenter, stilisierter Vampirfilm, der die Lust der Gräfin auf Jungfrauenblut an keiner Stelle diffamiert (Dienstag, White Trash Fast Food). Ganz so amoralisch, wie er scheint, ist er nicht. Die hinreißende Delphine Seyrig hat alle Sympathien auf ihrer Seite.

Während diese scheinbar amoralische Stilübung eine progressive Botschaft enthält, ist Wsewolod Pudowkins Der Deserteur (1933) inhaltlich ein didaktischer stalinistischer Agitationsfilm (heute und Dienstag , Arsenal). Erzählt werden sollte vom Reifeprozess eines Hamburger Arbeiters, der während eines Besuchs in der Sowjetunion zu sich findet. Ideologisch gefestigt kehrt er nach Hamburg zurück, um die Arbeiterklasse zum Sieg zu führen. Das optimistische Ende wirkte deplaziert, als der Film ein paar Monate nach Hitlers Machtantritt in die Kinos kam. Aber selbst bei einem Sieg der KPD wäre er kaum verstanden worden, denn Pudowkin hatte den Ton durchweg kontrapunktisch eingesetzt. Kein natürlicher Satz fällt in dem Film; den Dialogen zu folgen ist ein Härtetest. Immerhin ist das nicht die Folge von Dilettantismus, sondern von Pudowkins fanatischem Kunstwillen.

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