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CITY Lights: Früher waren Sünder besser

Frank Noack hat ein Herz für Sünder(innen). Doch nicht für die Amys, Britneys und Lindsays unserer Tage. Die Sünderinnen des klassischen Hollywoods sind faszinierende Figuren.

„Oma, was ist eine Sünderin?“ So fragen Nachgeborene, wenn irgendwo der berühmt-berüchtigte Hildegard-Knef-Film läuft. Man spricht wohl noch von Verkehrssündern und sündhaft teuren Konsumartikeln. Aber im Zusammenhang mit Sitte und Anstand? Selbst Vertreter der Kirche gebrauchen das Wort immer seltener. Und an die Stelle der Sünderin oder gar der Femme fatale ist das Luder getreten, das Bad Girl. Doch die Amys, Britneys und Lindsays unserer Tage sind eher mitleiderregend – eine Gefahr für sich selbst, nicht für andere.

Die Sünderinnen des klassischen Hollywoodkinos aber faszinieren bleibend: Der Zuschauer von heute erkennt die Tabuverletzung, die eine rauchende, trinkende, sexuell aktive Frau einmal darstellte. Und nimmt sie in Schutz, weil sie von den Filmemachern zu Unrecht dämonisiert wird. Etwa Vera, die Anhalterin aus Edgar G. Ulmers Klassiker Umleitung (1945). Diese Frau ist nikotinsüchtig, schwer lungenkrank und streng juristisch kaum mehr als eine kleine Betrügerin. Dennoch rechnete das „Time Magazine“ sie unlängst zu den zehn größten Schurken der Filmgeschichte. Das Arsenal veranstaltet zu Ehren der Weihnachten verstorbenen Hauptdarstellerin ein „Tribute to Ann Savage“ (Sonntag). Dabei wird auch Guy Maddins Fantasy- Doku My Winnipeg gezeigt, in der die 87-Jährige ihre letzte Rolle spielte – als dominante Mutter des Regisseurs.

Zu den unvergesslichen Momenten des Kinos gehört der vatermörderische Hexentanz, den Dorothy Malone in Douglas Sirks In den Wind geschrieben (1956) vollführt. Dieses Hochglanz-Melodram über eine texanische Ölmillionärsfamilie gilt als Vorbild für „Dallas“ und „Denver- Clan“ und hat der mittlerweile 84-Jährigen einen Oscar eingebracht (Mittwoch im Arsenal). Sie spielt eine Nymphomanin, die nie zum Zuge kommt, weil ihr Vater sie rund um die Uhr überwachen lässt. Verzweifelt legt sie eine Jazzplatte auf, dreht die Musik ganz laut und tanzt ekstatisch durchs Zimmer. Der Vater erträgt den Lärm nicht, quält sich die Treppe hinauf, bekommt einen Herzanfall und rollt die Stufen hinab. Sirk montiert die Bewegungen von Tochter und Vater wie einen Zweikampf.

Männer durften sich im Kino generell mehr erlauben, nicht jedoch in der konservativen Reagan-Ära. Das mag erklären, warum die Filme des jungen Mickey Rourke – abgesehen vom Softsexdrama „9 1/2 Wochen“ – keine Hits wurden. Sein wohl bester früher Film, Barry Levinsons American Diner (1982), spielt Ende der fünfziger Jahre (Freitag und Sonnabend im Filmkunst 66). Rourke ist derjenige unter ein paar Kumpels, dem man am ehesten eine Verbrecherkarriere zutraut, und zugleich der zärtlichste im Umgang mit Frauen. Sünder müsste man sein!

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