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CITY Lights: Raffer und Mobber

Frank Noack beamt sich in die wilden zwanziger Jahre.

Die englischsprachige Filmliteratur ist beneidenswert vielfältig und lebendig. Während amerikanische und britische Historiker den Kanon hinterfragen und auch mal Denkmäler stürzen, wird hierzulande Filmgeschichte nicht um-, sondern vom Vorgänger abgeschrieben. Bei allem Respekt vor Siegfried Kracauer und Lotte H. Eisner mit ihren Standardwerken „Von Caligari zu Hitler“ und „Die dämonische Leinwand“: Der soziologische Ansatz und die Beschränkung auf den Expressionismus werden einem so komplexen Gebilde wie der Weimarer Kultur niemals gerecht. Zu Epochen wie den fünfziger Jahren existieren erst gar keine Standardwerke. Vielleicht fehlt der Wille, auf jeden Fall fehlt Geld. Auch Retrospektiven vergessener Regisseure lassen sich kaum noch finanzieren – folglich sind es immer wieder dieselben Titel, die im Fernsehen, den Programmkinos oder auf dem DVD-Markt erscheinen.

Ab und zu tut sich doch noch was. Obwohl kein runder Geburts- oder Todestag ansteht, erinnert das Zeughauskino an einen Urberliner, der in den zwanziger und dreißiger Jahren jedem Kinogänger ein Begriff war: Richard Eichberg (1888 – 1953). Zwölf seiner Filme sind nun wieder zu sehen; unterstützt wurde das Projekt von CineGraph Babelsberg und dem Bundesarchiv-Filmarchiv. Als Produzent und Regisseur spezialisierte Eichberg sich auf Genrekost: Kriminal- und Spionagefilme, Melodramen und Operetten. Manche Kritiker verspotteten ihn, andere nahmen seinen unverhohlenen Eskapismus in Schutz. Einmal war sogar Siegfried Kracauer von ihm begeistert: "Fräulein Raffke" (Sonnabend) ist ein Unterhaltungsfilm über einen Menschentypus, für den jede Generation einen anderen Namen wählt. Heute sagt man Yuppie, 1923 sprach man verächtlich vom Raffke. Dabei ist die von Lee Parry verkörperte Heldin kein Raffke, sie wird nur von ihrem Raffke-Vater (Werner Krauß) mit einem Raffke-Verehrer (Hans Albers) verkuppelt. Am Ende entscheidet sie sich für einen mittellosen Angestellten. Konsequent exotisch gestaltete Eichberg das Melodram "Song" (Freitag), für das er die Chinesin Anna May Wong verpflichtete, während "Die keusche Susanne" (Sonntag) erstmals das spätere Traumpaar Lilian Harvey und Willy Fritsch zusammenführte.

So einseitig wie das Weimarer Kino ist auch der schwedische Film wahrgenommen worden. Anders als die Naturschilderungen sind seine Großstadtdramen in Vergessenheit geraten. Eher zufällig wurde Per Lindbergs Sekretärinnen-Porträt "Weibliche Junggesellen" (1923) wiederentdeckt (Mittwoch im Arsenal). Lindberg behandelt, äußerst modern, Mobbing und Sexismus am Arbeitsplatz – nicht im Ton einer sozialen Anklage, sondern humorvoll und kampflustig.

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