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CITY Lights: Schöner altern

Frank Noack sieht sich auf Wolke 65 um

Allerlei Qualitäten sind an Andreas Dresens „Wolke 9“ hervorgehoben worden, nur nicht – merkwürdigerweise – die gut erhaltenen Körper der drei Hauptdarsteller. Dabei hängt es doch im wesentlichen vom Zustand der Körper ab, ob man einer Sexszene gelassen zusieht oder verstört den Blick abwendet. Das Tabu ist nicht der alte Körper, sondern der aus der Form geratene. Wenn Dresen auch nur einen Darsteller besetzt hätte, dessen Bauch bis zum Oberschenkel hängt, dann wäre das Publikum sicher nicht so entzückt gewesen. Indirekt huldigt er sogar dem Jugendkult, indem er einen Lebensabend ohne Rheuma, Diabetes und Übergewicht schildert.

Ursula Werner, die am Sonntag ihren 65. Geburtstag feiert, sieht wesentlich jünger aus als Brigitte Mira, die im selben Alter eine ähnliche Rolle verkörpert hat: Rainer Werner Fassbinder verhalf ihr mit Angst essen Seele auf (1974) eine unverhoffte Alterskarriere (Freitag im Zeughauskino). Der Film gestand seiner reifen Protagonistin nicht nur ein spätes Liebesglück zu, er paarte sie auch noch mit einem jüngeren marokkanischen Arbeitsmigranten und setzte sie einer intoleranten Gesellschaft aus. Brigitte Mira besaß nicht die aggressive Sinnlichkeit von Ursula Werner und erst recht nicht deren sportliche Figur. Dadurch wirkte ihr Begehren noch verzweifelter, war es eine viel größere Herausforderung.

Die Beschäftigung mit Alterssexualität ist auch ein Luxus, den sich nicht jede Kultur erlauben kann. In Kuhle Wampe (1932), dem einzigen frühen Tonfilm proletarischen Inhalts, ist für Liebesabenteuer kein Platz (Sonnabend und Sonntag im Lichtblick). Ernst Busch und Hertha Thiele geben ein attraktives Paar ab, sind aber vor allem Kameraden im Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Hunger. Neben dem Klassenkampf ist kein Platz mehr für die sexuelle Frage. Mit Brechts Manuskript und Eislers Musik beschwört Regisseur Slatan Dudow eine heile Welt ohne private Konflikte – eine Welt, in der nur das Kollektiv zählt.

Einer Gemeinschaft ohne Gemeinschaftsgeist begegnet man in Filmen, die vom Überleben im Dschungel handeln. Ein Musterbeispiel für das Genre ist Luis Buñuels Der Tod in diesem Garten (1956), der früher den herrlichen Titel „Pesthauch des Dschungels“ trug (Sonntag im Arsenal). Zur Gruppe, die gegen Hitze, Hunger und Fliegen kämpft, gehören Simone Signoret als Prostituierte und Michel Piccoli als Priester. Es ist ein spannender, wenn auch für Buñuel-Verhältnisse konventioneller Abenteuerfilm. Sein gewagtester Einfall fiel der Zensur zum Opfer: Signoret kauft sich ein Stück Seife. Als eine Gruppe von Soldaten von einem Lastwagen absteigt, überlegt sie kurz – und verlangt fünf Stück. Der Einfall hätte auch von Mae West stammen können.

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