zum Hauptinhalt

CITY Lights: Von London nach Dakar

Silvia Hallensleben packt das Zebu bei den Hörnern

Von Haarmann bis Dutroux: Serienmörder erregen die Volksseele lange über ihr Wirken hinaus. Spätestens seit Fritz Langs „M“ ist das Sujet auch im Kino präsent. Kein Wunder, lässt doch das Gegeneinanderlaufen von Aufklärungsarbeit und latenter Gefahr wie von selbst Spannung entstehen. Drei Jahre vor „M“, 1927, entstand Alfred Hitchcocks The Lodger – A Story from the London Fog (Freitag im Zeughaus); der Meister selbst betrachtet den Stummfilm als Beginn seiner persönlichen Filmgeschichte. Jack the Ripper gab die Vorlage, bemerkenswert ist aber vor allem Hitchcocks Einfallsreichtum. Allein die Anfangsmontage, die von einer Frauenleiche über die journalistische Nachrichtenkette zum potentiell nächsten Tatort führt, ist eine brillante Talentprobe filmerzählerischen Könnens und Vorbild vieler späterer Thriller, Medienkritik eingeschlossen.

In „The Lodger“ geht es wie so oft bei Hitchcock um einen unschuldig Verdächtigten, der hier am Ende fast einem Lynchmord zum Opfer fällt. Woody Allens Love and Death endet mit dem Tod des ebenfalls unschuldigen Helden vor einem napoleonischen Hinrichtungskomitee. Oder doch nicht, denn der Tote darf mit einem von Allen aus Ingmar Bergmans Mittelalter-Film „Das siebente Siegel“ ausgeliehenen Sensemann vor das Haus der Geliebten (Diane Keaton) ziehen und ihr einen Abschiedssermon halten. Überhaupt zitiert sich der Regisseur anspielungsreich durch die nordeuropäisch-russische Kulturgeschichte: Ein bisschen Bildungsgeprotze muss nicht unbedingt langweilig sein. Der Film (OmU), mit dem das Freiluftkino Mitte an der Rosenthaler Straße heute seine Saison eröffnet, enthält schon alle späteren Themen Woody Allens. Nur dass er damals in zwei Sentenzen unterbrachte, wofür er heute zwei Stunden braucht.

Auf faszinierende und verstörende Weise führt Touki Bouki, der sehr unklassische Klassiker des senegalesischen Kinos, den Zuschauer in eine fremde Welt. Djibril Diop Mambétys afro-surrealistisches Manifest von 1973 relativiert vieles, was die Filmwelt in dieser Zeit aus Frankreich oder den USA bewegte. Ja, wer mit Mory und Georges Brachers subjektiver Kamera auf dem mit Zebu-Hörnern aufgemotzten Moped durch die staubigen Straßen von Dakar braust, begreift ganz sinnlich, wie relativ die Wertungen nördlich-westlicher Filmgeschichte sind. „Touki Bouki“, dieses ungewöhnliche und radikale frühe Meisterwerk des modernen afrikanischen Kinos, wird am Mittwoch im Arsenal mit einer Einführung präsentiert. Und mit Ousmane Sembènes Erstling Borom Sarret von 1963, der als erster von einem Afrikaner in Afrika gedrehter Film gilt.

Zur Startseite