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CITY Lights: Was verboten ist

Frank Noack forscht nach den letzten Tabus

Unlängst wurde an dieser Stelle die Entwertung der Begriffe Kult und Klassiker beklagt: Man mag sie gar nicht mehr verwenden, so sehr haben sie sich abgenutzt. Ebenso leichtfertig werden Filme als unbequem oder gar subversiv bezeichnet – aber wann hat es im westlichen Kino zuletzt einen Skandalerfolg gegeben? Selbst Paul Verhoeven, immerhin Experte auf diesem Gebiet, konnte mit dem revisionistischen „Black Book“ niemanden ernsthaft schockieren.

Die Gelassenheit des Publikums ist Ausdruck von Toleranz. Doch was der Gesellschaft guttut, raubt der Kunst einen zentralen Reiz, den Reiz des Verbotenen. Kurz vor seiner Emigration 1937 hat Reinhold Schünzel seine Möglichkeiten als „nicht-arischer“ Regisseur im NS-Kino ausgereizt. Über seine musikalische Komödie Land der Liebe (Mittwoch in den Eva-Lichtspielen) schrieb Joseph Goebbels am 28. April 1937 in sein Tagebuch: „Eine typische Judenmache. Ganz unausstehlich. Der darf so nicht heraus. Nun werde ich diesen Unrat ausmisten.“ Einen Tag später fügte der Minister hinzu: „Das hat dieser Halbjude mit Absicht gemacht.“ Schünzel saß auf gepackten Koffern, als er den Film drehte, vielleicht hat er deshalb so viel gewagt. Sein Operettenstaat wird von einem Mann regiert, der mit 45 Jahren noch immer unverheiratet ist und dessen groteske Armee aus Schwarzhemden besteht.

Schünzels Hauptdarstellerin Gusti Huber wanderte ebenfalls in die USA aus. Hier wirkte sie 1959 in einem Film mit, der nicht provozieren sollte, dessen Entstehungsgeschichte jedoch für Unbehagen sorgt. Das Tagebuch der Anne Frank (Mittwoch im Zeughauskino) basiert auf dem Bühnen-Hit von Frances Goodrich und Albert Hackett – die ideale Hauptdarstellerin wäre Susan Strasberg gewesen, die die Anne Frank schon am Broadway verkörpert hatte. Strasberg war jung, schön, begabt, aber wie sie in ihrer Autobiografie verrät, ist sie für den Film nicht einmal kontaktiert worden. Vielleicht weil sie Jüdin war? In Hollywood war nicht nur der Holocaust, sondern jüdisches Leben generell ein unbeliebtes Thema. Aus Rücksicht auf antisemitisch eingestellte Zuschauer wurden Hauptrollen in solchen Filmen bevorzugt Nichtjuden anvertraut. Audrey Hepburn galt als Favoritin, bevor man sich für das Hepburn-Double Millie Perkins entschied. An George Stevens’ Film beeindruckt der ungewöhnliche Gebrauch des Cinemascope-Formats, das sich für Historienschinken anbot, nicht jedoch für Kammerspiele. Stevens bestand auf Breitwand und verschaffte dem Publikum ein beklemmendes Raumgefühl.

Die meisten filmischen Provokationen sind ohne ihren historischen Kontext nicht mehr nachvollziehbar. Eine Ausnahme ist Rainer Werner Fassbinders Faustrecht der Freiheit (1975), ein zeitloses Werk, das bis heute keinen Nachahmer gefunden hat (Mittwoch im Babylon Mitte). Statt Schwule in ihrer liebgewonnenen Opferrolle zu bestätigen, behandelte Fassbinder Intrigen und fehlende Solidarität untereinander. Um sein persönliches Engagement zu betonen, übernahm er selbst die Hauptrolle des Franz Biberkopf, der im Lotto gewinnt, von falschen Freunden ausgenommen und fallen gelassen wird. Zur Strafe für diesen Film erhielt er Hausverbot in mehreren schwulen Bars. Ein größeres Kompliment konnte man ihm nicht machen.

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